Singende Omas für Russland in Baku

Beim Eurovision Song Contest in Baku tritt für Russland eine ungewöhnliche Band an: Omas aus einem kleinen Dorf in Udmurtien, wo das Wasser noch vom Brunnen geholt wird. „Buranowskije Babuschki“, zu Deutsch „Omas aus Buranowo“, heißt das Projekt, das Udmurtien nun einen wahren Medien-Ansturm beschert.

Buranowskije Babuschki im Halbfinale des Eurovision Song Contests am 22. Mai. 

Die singenden Omas konnten den Vorentscheid für die Teilnahme am Eurovision Song Contest 2012 für sich entscheiden und gelten nun als Kuriosum im Rummel des europäischen Showbusiness. Sie leben bereits seit mehr als 70 Jahren in Buranowo, diesem kleinen udmurtischen Dorf, doch erst ihr Erfolg beim Vorentscheid bescherte der Region Udmurtien so viel Aufmerksamkeit: Dutzende Journalisten aus den verschiedensten Ländern reisen zur Zeit nach Udmurtien, um über die seltsame Band zu berichten.

Eine andere Welt

In Buranowo wird das Wasser für den täglichen Bedarf noch immer vom Brunnen geholt. Um das Haus warm zu bekommen und Essen zu kochen, muss der Ofen geheizt werden, was reichliche Brennholzvorräte erfordert. Zur Aufbesserung des Budgets hält jede Familie Kühe oder Ferkel, die von früh bis spät versorgt sein wollen. Im Sommer arbeiten alle in ihren Hausgärten, wo sie Kartoffeln und Gemüse ziehen. Kurzum, das Leben in Buranowo besteht in erster Linie aus schwerer körperlicher Arbeit. In dieser Hinsicht hat sich in den letzten 100 Jahren wenig geändert.

Fotos: Reuters / Vostock Photo

Aber die „Buranowskije Babuschki“ wollen nicht bedauert werden. Auf die Frage von Journalisten, ob sie jetzt, als landesweite Stars, nicht lieber umziehen wollen, beispielsweise nach Moskau, wo das Wasser aus dem Wasserhahn fließt und kein Ofen geheizt werden muss, wehren die Omas entgeistert ab. Und bemitleiden unisono die Hauptstädter, die sich ihr ganzes Leben mit Staus herumplagen und in stickigen Büros sitzen müssen. „Wie finden sie da bloß Erholung?“, können die betagten Sängerinnen nicht verstehen. „Bei uns ist das ganz anders. Man geht über die Wiesen oder in den Wald, und sofort strömt einem von irgendwoher Kraft zu.“

„Solche wie uns gibt es viele“

Ihr Senioren-Ensemble halten die „Buranowskije Babuschki“ ebenfalls für nichts Außergewöhnliches. Sie finden: „Solche wie uns gibt es viele.“ Und tatsächlich bestehen in der russischen Provinz nicht wenige Gesangsgruppen, in denen Veteranen und Rentner aktiv sind. Was könnte man auch an den langen Winterabenden Anderes tun als miteinander zu singen? Die Buranowo-Omas hat der Erfolg, genauer gesagt: der clevere Einfall eines Musikproduzenten, berühmt gemacht. 2008 coverten sie auf ihre folkloristische Art Lieder von Viktor Zoi und Boris Grebentschikow, zwei Kultfiguren der russischen Rockszene. Seither haben die „Buranowskije Babuschki“ in ganz Russland eine Fan-Gemeinde.

2010 nahmen sie schon einmal am nationalen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest teil. Damals landeten sie auf dem dritten Platz. In diesem Jahr versuchten sie ihr Glück erneut – und siegten. Wie auch immer das Finale in Baku ausgeht, eines lässt sich bereits jetzt sagen: Keiner derjenigen, die Russland bisher beim Contest vertraten, hat in der internationalen Öffentlichkeit so viel Interesse geweckt wie die „Buranowskije Babuschki“.

Rummel vom Kuhstall bis zu diplomatischen Kreisen

Tag für Tag kommen ausländische Journalisten in ihr udmurtisches Heimatdorf, bis Mitte April konnte Buranowo Gäste aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Japan, Tschechien, Polen und Finnland begrüßen. Der Medienrummel versetzt die Dorfverwaltung in Euphorie und hektische Betriebsamkeit, schon gibt es Pläne, touristische Wanderwege zu den Holzhäuschen der singenden Omas anzulegen, Exkursionen zur Besichtigung eines echten Kuhstalls zu organisieren.

Selbst in der Sphäre der internationalen Beziehungen hat das Ereignis Reaktionen ausgelöst. So rief der Kulturminister Estlands seine Landsleute auf, für die „Buranowskije Babuschki“ zu stimmen. Bedenkt man, dass das Verhältnis zwischen Russland und den baltischen Republiken in den letzten 20 Jahren – gelinde gesagt – unterkühlt war, mutet dieser Aufruf geradezu unglaublich an. Allerdings gibt es eine handfeste Erklärung: Das Udmurtische gehört wie die baltischen Sprachen zur finno-ugrischen Sprachfamilie. Doch auch wenn Udmurten und Balten etwas Verwandtschaftliches verbindet, ändert das nichts daran, dass der Appell des estnischen Kulturministers etwas Besonderes darstellt.

«Let it be» von den Beatles auf Udmurtisch.

Die Faszination für die Band hängt sicherlich auch mit dem Kontrast zum allgegenwärtigen Jugendkult zusammen. Die „Buranowskije Babuschki“ jedenfalls haben ihre Antwort auf solche Fragen bereits gefunden. Als sie vor vielen Jahren im örtlichen „Haus der Kultur“ gemeinsam zu singen begannen, taten sie das keineswegs in der Absicht, einmal im Alter von 70 Jahren die Höhen des europäischen Showbusiness zu erobern. Doch wenn einem das Leben eine derartige Chance bietet, warum es dann nicht versuchen? Schließlich haben die singenden Großmütter einen starken Anreiz: Sie träumen davon, die in der Sowjetzeit zerstörte Kirche des Dorfes wiederaufzubauen. Dafür spenden sie einen Teil des Geldes, das sie mit ihren Auftritten verdienen. Soviel steht jedenfalls fest: In den nächsten zehn Jahren werden die Buranowo-Omas keine Zeit haben, hinter dem Ofen zu sitzen. 

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