Übersetzer sind „unbesungene Helden". Ihre Leistung ist es, hinter der Sprache des Autors zurückzutreten, Sprachhindernisse zu umschiffen und möglichst unsichtbar zu bleiben. Umso auffälliger ist es daher, wenn
„Die Frau mit den 5 Elefanten"
Regie: Vadim Jendreyko;
Kamera: Niels Bolbrinker, Stéphane Kuthy;
Produktion: 3Sat, Mira Film, Filmtank, Schweizer Fernsehen (SF), ZDF
eine Neuübersetzung 150 Jahre alter Werke Aufsehen erregt. Die zwischen 1994 und 2006 erschienenen deutschen Ausgaben der großen fünf Romane von Fjodor Dostojewski tragen inzwischen den Namen der Übersetzerin sogar auf dem Titel. Swetlana Geier (geboren 1923 als Swetlana Iwanowa in Kiew) hatte sie ohne Zeitdruck innerhalb von 20 Jahren im Auftrag des Züricher Ammann Verlags übersetzt, während sie jede Woche ihrem Lehrauftrag an der Universität Karlsruhe nachging. Die intensive und sinnliche Sprachqualität dieser Übersetzungen machten sie bekannt, 2007 erhielt sie den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse. 2008 besuchte der Schweizer Regisseur Wadim Jendreyko die 85-Jährige zu Hause in Freiburg und filmte sie bei der Arbeit, bei Familienfeiern und auf ihrer ersten Reise in ihre ukrainische Heimat. Entstanden ist ein ruhiger Film über eine faszinierende Persönlichkeit. Das Leben der hochbegabten 18-jährigen Studentin westeuropäischer Sprachen hatte eine Wendung genommen, als die Deutschen 1941 Kiew besetzten und sie für eine deutsche Brückenbaufirma als Übersetzerin zu arbeiten begann. Ihr war ein Stipendium in Deutschland versprochen worden.
Als nach Stalingrad die Wehrmacht den Rückzug antrat, war ihr klar, dass sie in der Sowjetunion als „Kollaborateurin" keine Zukunft hatte, und sie verließ mit ihrer Mutter ihre Heimat, um in Freiburg Literatur- und Sprachwissenschaften zu studieren. Sie kehrte nie zurück. Als Übersetzerin, Lehrerin und Lektorin der russischen Sprache arbeitete sie ihr ganzes Leben lang.
Sie sitzt gebeugt über den Text in ihrer Freiburger Wohnung, sie denkt nach, schaut auf, wieder auf den Text und spürt der Sprachmelodie nach. Sie schreibt nicht selbst. Sie diktiert die Übersetzung ihrer Sekretärin in die Schreibmaschine. Das hilft ihr, nicht „am Text zu kleben".
Am nächsten Tag sitzt ihr ein alter Freund gegenüber, und die beiden debattieren über einzelne Worte der Arbeit des Vortags. Dann sehen wir sie gebeugt am Bügelbrett stehen, und sie sinniert über die innere Struktur von Texten und über die von Stofffasern.
Ihre Alltagsbeobachtungen und insbesondere die Fragen, die sie unbeantwortet stehen lässt, wirken wie gedanklich vielfach verfeinerte Destillate ganzer Lebensjahrzehnte. Komplizierte Zusammenhänge werden für Momente unglaublich klar und einfach, auf ihre eigene Art Wegweiser in das, was die Faszination großer Literatur ausmacht.
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