Auf Dostojewskis Spuren

Igor Rothmann. Foto: Jurij Lepskij RG

Igor Rothmann. Foto: Jurij Lepskij RG

Im Baden-Badener Kasino spielte sich Dostojewski einst um Kopf und Kragen. Igor Rothmann dagegen hat es in der wohl russischsten Stadt Deutschlands mit traditionellen Werten zu etwas gebracht: der ehemalige Bauingenieur kam der Familie wegen nach Baden-Baden und fing komplett von vorne an.

„Sehen Sie den Wetteranzeiger da oben?“, fragt Rothmann und zeigt auf die kleine Figur auf der Spitze eines Baden-Badener Kirchturms. Es heißt, Dostojewski habe auf dem Weg ins Kasino immer diese Figur betrachtet. Wenn der erhobene Arm nach links zeigte, würde er verlieren, und wenn er nach rechts zeigte - gewinnen.  

„Und was war, wenn der Arm nach links zeigte? Ist er dann wieder nach Hause gegangen?“ „Nein“, seufzt Rothmann, „er ist trotzdem ins Kasino gegangen.“

Wie wir alle wissen, hat sich Fjodor Michajlowitsch Dostojewski im berühmten Baden-Badener Kasino um Kopf und Kragen gespielt. Und doch hat es ihn immer wieder dorthin gezogen. Er wollte noch einmal Erfolg spüren, richtig tippen, das Schicksal anflehen, alles auf eine Karte setzen und irgendwann einmal richtig absahnen. Doch es kam alles anders.

Heute, viele Jahre später, erinnert mich der russische Spieler im Kasino an einen russischen Geschäftsmann. Auch er träumt davon, ordentlich abzusahnen, und auch er verspürt das glühende Verlangen, auf die richtige Zahl zu setzen. Allerdings hat sowohl im Kasino als auch im Geschäftsleben nur derjenige Erfolg, der nicht um des Geldes willen spielt, sondern mit Leib und Seele bei der Sache ist.

Igor Rothmann, ein erfolgreicher Architekt und Geschäftsmann aus der Stadt Kischinjow, spielt jedoch nicht im Kasino. Eines Tages hatte ihn seine Tochter von Deutschland aus angerufen und gefragt, ob er seinen Enkelsohn sehen möchte. Igor Rothmann überlegte nicht lange und zog kurzentschlossen gemeinsam mit seiner Frau nach Baden-Baden. So konnte er bei seinem geliebten Enkelsohn und der Tochter sein. Allerdings beherrschte er weder die deutsche Sprache, noch hatte er Geld oder einen Job. Und dann erkrankte seine Frau schwer und musste dringend operiert werden. Er lieh sich 3 000 Dollar und gab sein Ehrenwort, dass er das Geld zurückzahlen werde. Die Operation verlief erfolgreich. Aber nun musste er das Geld zurückzahlen.

Ehrlich verdientes Geld

 

Was denken Sie, wohin Rotmann gegangen ist? Ins Kasino? Nein, Rotmann ging zum Bahnhof von Baden-Baden und verlud dort Reifen von Schwerlastern. Er war 51 Jahre alt, und die Reifen mit dem gefrorenen Wasser im Inneren waren schwer. Völlig erschöpft und nass bis auf die Knochen kam er abends nach Hause. Als er genügend Geld verdient hatte, um die Schulden zurückzuzahlen, wusste er, was er fortan machen würde. Seine Tochter war Augenärztin, und durch die Erkrankung seiner Frau hatte er Bekanntschaft mit dem Personal der örtlichen Klinik geschlossen. Als talentierter Unternehmer war ihm klar: Die Kliniken in Baden-Baden waren in der Lage, Kranken aus Russland bei der Reha-Behandlung zu helfen - in Russland können nämlich die schwierigsten Operationen durchgeführt werden, doch die anschließende Versorgung der Patienten ist nicht ausreichend.   

Seit jener Zeit ist viel heilsames Thermalwasser in den Baden-Badener Thermen geflossen. Und es gibt Tausende dankbarer Patienten aus Russland. Im Kreis Krasnodar wurde nämlich ein deutsches Dorf mit dem Namen „Katharina die Große“ erbaut. Dort, im Süden von Russland, organisierte Rothmann auf der Grundlage der in Deutschland gesammelten Erfahrungen Hunderte von Familienunternehmen. Doch das Wichtigste für Rothmann war, dass ihm Folgendes klar geworden ist: Russland fördert Familienunternehmen. Mit deutscher Technologie. Darauf hat er in der Tat alles gesetzt - und den Sieg davongetragen.

Gemeinsam spazierten wir so durch Baden-Baden. Auf Schritt und Tritt wurde er von Passanten gegrüßt und von ihnen eingeladen. In diesem Moment wurde mir klar: Wenn es in jedem Land der Erde wenigstens einen Menschen wie Rothmann gäbe, bräuchte man ein für allemal keinen Gedanken mehr daran zu verschwenden, wie ein positives Image für Russland erreicht werden kann.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Rossijskaja Gaseta.

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