Drei weit verbreitete Mythen über den sowjetischen Einsatz in Afghanistan

W. Suchodolskij/Sputnik
Zum 30jährigen Gedenken an den Rückzug sowjetischer Soldaten aus Afghanistan lohnt es sich, einige weit verbreitete Mythen genauer zu betrachten.

1. Die UdSSR hatte verloren und musste den Rückzug antreten

Ein weit verbreiteter und anhaltender Irrtum zum Afghanistan-Konflikt in den 1980er Jahren ist der, dass die Mudschaheddin und die USA die Truppen der Sowjetunion besiegt haben und die UdSSR keine andere Möglichkeit hatte, als die Soldaten 1989 aus dem Land abzuziehen.

Das scheint von der Wahrheit weit entfernt, da es in der Mitte der 1980er Jahre so aussah, als würden die Mudschaheddin verlieren. Morton Abramowitz, in den Achtzigern Staatsekretär für Geheimdienste und Forschung in den USA, erklärte 1997: „1985 waren wir besorgt, dass die Mudschaheddin verlieren könnten, sie drohten auseinanderzufallen. Es gab hohe Verluste und ihre Erfolge gegen die Sowjets waren mäßig.”

Die zurückkehrenden sowjetischen Soldaten werden am Ufer des Flusses Amudarja bei der Stadt Termiz, Usbekistan, begrüßt.

Es heißt auch, dass die Ausrüstung der Mudschaheddin mit Stinger-Luftabwehrraketen durch die USA die Waage in Richtung der anti-sowjetischen Kräfte verschoben habe. Die sowjetische Luftwaffe verlor dadurch mehr Maschinen und Männer. Das könnte die Wende  eingeleitet haben.

General Boris Gromow, Kommandeur der 40. Sowjetischen Division, die 1979 nach Afghanistan geschickt worden war, meint dagegen, dass man in diesem Falle gar nicht von einem verpassten Sieg sprechen könne. Er erklärt, dass es sich um militärische Operationen gegen die Mudschaheddin gehandelt habe, ein klarer Sieg sei nie die Erwartung gewesen. Er betont, dass die sowjetischen Truppen während des Konflikts stets den größten Teil Afghanistans kontrollierten, nicht ein Militärstützpunkt sei von den Mudschaheddin erobert worden, trotz der zunehmenden finanziellen Unterstützung aus dem Ausland. „Auf dem Höhepunkt des Konflikts waren nur 108 800 Soldaten der 40. Division in Afghanistan, das zeigt, dass niemand von einem klassischen Sieg ausging”, so Gromow (rus). Offenbar war die Kontrolle des Landes ausreichend. Zum Vergleich: In Vietnam hatten die USA fünfmal mehr Soldaten, auf einem Gebiet, das fünfmal kleiner war, und dennoch mussten sie aufgeben.

2. Der grausame sowjetische Soldat

Oft wird unterstellt, dass die UdSSR in Afghanistan nur habe bestehen können, weil sie besonders rücksichtslos vorging. Gromow ist überzeugt, dass die Geschichten von den grausamen sowjetischen Soldaten von den Unterstützern der Mudschaheddin verbreitet wurden, um noch mehr Finanzmittel zu bekommen und die politische Legitimation zu stärken.

Der sowjetische General betont, dass die Sowjetunion viele wirtschaftliche und ökonomische Hilfsprogramme auf den Weg gebracht habe, um die lokale Bevölkerung zu unterstützen. „So führte die Armee allein im Jahr 1982 rund 127 zivile Operationen durch, bei denen Häuser wiederaufgebaut und Straßen angelegt wurden. Unter der Zivilbevölkerung wurden Lebensmittel und Medikamente verteilt. Sogar einige kulturelle Veranstaltungen wurden organisiert”, berichtet Gromow.

Der frühere britische Diplomat und Autor des Buches „Afgantsy” (2011), Rodric Braithwaite, berichtete (rus) auf einer Lesereise, dass er von der starken Bindung zwischen den sowjetischen Soldaten und der afghanischen Zivilbevölkerung überrascht gewesen sei. „Die Soldaten hatten enge Beziehungen zu den Menschen im Land, zu Bauern, Geschäftsleuten, Mullahs. Als ich in Afghanistan war, habe ich den Leuten dort die Frage gestellt, wann es ihnen besser gegangen sei: Jetzt oder damals unter den Russen. Alle hielten dies für eine dumme Frage, da die Antwort für sie klar auf der Hand lag: Besser ging es ihnen unter den Russen.”

Hier (eng) finden sich viele vergleichbare Beispiele.

3. Der sowjetisch-afghanische Krieg  

Häufig wird der Konflikt als „sowjetisch-afghanischer Krieg” bezeichnet. Doch die sowjetischen Truppen kamen auf Wunsch der afghanischen Regierung ins Land. Die Gegenspieler des von der Sowjetunion unterstützten afghanischen Regimes hatten den Rückhalt von Pakistan, Saudi Arabien und dem Westen, so dass es tatsächlich ein internationaler Konflikt gewesen ist. Darin nur eine Auseinandersetzung zwischen der afghanischen Bevölkerung und der Sowjetunion zu sehen, würde der Komplexität des Ereignisses nicht gerecht. Zudem gab es auch unter den Afghanen überzeugte Unterstützer für die Regierung.

Die Mudschaheddin untersuchen den im Kampf gegen die Streitkräfte der Kabul-Regierung erbeuteten sowjetischen Panzer.

General Gromow lehnt die Bezeichnung „Krieg” für den Konflikt ab. Er hält den Begriff für nicht angemessen, da es „nur geringe militärische Aktivität gab”.

Es wäre auch nicht korrekt zu behaupten, dass der Einmarsch der sowjetischen Truppen den Bürgerkrieg in Afghanistan ausgelöst hat. Es gibt Beweise dafür, dass die Gegner der von der UdSSR unterstützten Regierung in Kabul sich schon vor 1979 bewaffneten.

Die Unterstützung des Westens für die Mudschaheddin begünstigte zweifelsohne das Eingreifen der Sowjets. Der frühere CIA-Mitarbeiter und spätere Verteidigungsminister der USA, Robert Gates, erinnert sich an ein Treffen, bei dem es um die Frage ging, ob man die Mudschaheddin unterstützen solle, dass man sich dafür entschied, um „den Sowjets ihr eigenes Vietnam zu bescheren” (eng).

>>> Fehlentscheidung: Wieso hat die UdSSR Soldaten nach Afghanistan geschickt?

>>> Revolution in Afghanistan: Warum hat die Sowjetunion sie nicht unterstützt?

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