Was geschah mit dem Erbe der Zarenzeit unter der Sowjetregierung?

Arkady Shajhet/MAMM/russiainphoto.ru
Die sowjetischen Behörden verstaatlichten sämtliches Privateigentum und benutzten es fortan für ihre Zwecke. Manche davon waren eher ungewöhnlich.

Zum Ende der Zarenzeit gab es in Russland etwa 40.000 Villen und dutzende Paläste. Nach der Oktoberrevolution verließen viele Adelige und Wohlhabende das Land. Ihre Anwesen überließen sie ihrem Schicksal. Rund ein Zehntel wird bis heute gepflegt. Der Rest ist dagegen zerstört oder verlassen. Die Paläste sind wesentlich besser instand, aber auch an ihnen gingen die Sowjetjahre nicht spurlos vorüber.

Museen

Viele der verschonten Paläste und Zarenresidenzen liegen in oder um Sankt Petersburg. Schon 1918 wurden der Katharinenpalast in Zarskoje Selo, das Schloss Peterhof mitsamt den Parkanlagen sowie der Gattschina-Palast in Museen umgewandelt.

Zarskoje Selo ist 25 Kilometer von Sankt Petersburg entfernt.  Der Alexander-Palast (l.) nach dem Zweiten Weltkrieg und das Bernsteinzimmer (r.) im Katharinenpalast vor dem Krieg.

Im Zweiten Weltkrieg wurden die außerhalb der Stadt gelegenen Anwesen von deutschen Truppen eingenommen. Als die Deutschen sich zum Rückzug gezwungen sahen, sprengten sie viele der Gebäude und hinterließen ihren Müll in den Parks. Nach dem Krieg wurden sämtliche Anlagen behutsam restauriert. In manchen Fällen, darunter Gattschina, dauern die Restaurierungsarbeiten bis heute an.

Der Gattschina-Palast

Das Schicksal des Winterpalastes war weniger schwerwiegend. Er wurde 1920, nachdem die Spuren der Revolution beseitigt waren, ebenfalls als Museum eröffnet.

Der Winterpalast

Auch in der Nähe von Moskau wurden einige Anwesen in Museen umgewandelt, so zum Beispiel Ostafjewo, Abramzewo und Kuskowo. Letzteres diente im Zweiten Weltkrieg als Trainingszentrum für Scharfschützen.

(v.l.n.r.): Abramzewo, Dubrowizy, Kuskowo

Das malerische Archangelskoje war zunächst ebenfalls ein Museum. Später wurde daraus ein Militärsanatorium.

Archangelskoje

Sanatorien

Überhaupt war dies vermutlich der häufigste Verwendungszweck für ehemalige Paläste. Viele Villen in Moskau und Umgebung (z.B. Uskoje, Walujewo und Woronowo) dienen bis heute als Sanatorien.

Walujewo

Der luxuriöse Liwadija-Palast auf der Krim war einst die Datsche der Zarenfamilie. Zu Sowjetzeiten gelangte der Palast als Ort der Jalta-Konferenz zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill zu neuer Berühmtheit.

Der Liwadija-Palast

Der Woronzow-Palast, ebenfalls auf der Krim, wurde nach der Revolution zunächst ein Museum. Später wandelte man das architektonisch beeindruckende Bauwerk an der Schwarzmeerküste um. Es wurde zu einer staatlichen Datsche und diente unter anderem als Aufenthaltsort für Staatsgäste. Während der Jalta-Konferenz nächtigte hier Winston Churchill.

Der Woronzow-Palast

Der Massandra-Palast in der Weinregion der Krim war bis zum Zweiten Weltkrieg ein Sanatorium für Tuberkulosekranke. Anschließend wurde er zum Sitz des Magaratsch-Instituts für Weinbau ernannt. Zusätzlich diente der Palast als Datsche für Stalin und seine Nachfolger.

Der Massandra-Palast

Regierungsbehörden und Bildungseinrichtungen

Schon im 19. Jahrhundert wurde der Lefortowo-Palast von Peter dem Großen um eine Kaserne erweitert. Zu Sowjetzeiten entstand hier das militärhistorische Archiv des Staates. Diese Nutzung besteht bis heute.

Der Lefortowo-Palast

Unter Katharina der Großen wurden auf der Strecke von Moskau nach Sankt Petersburg zahlreiche kleinere Paläste errichtet. Sie dienten der Zarin und ihren Nachfolgern als komfortable Übernachtungsorte auf Reisen. Nach der Revolution wurden die Übernachtungspaläste von Twer und Weliki Nowgorod den Lokalregierungen zur Verfügung gestellt. Letzterer wurde schließlich ein Kulturhaus der Roten Armee.

Katharinas Reisepalast in Twer

Der Übernachtungspalast in Torschok bei Twer wurde schon im 19. Jahrhundert an die Stadt weitergegeben. Über die Jahre befanden sich hier verschiedene Schulen und Trainingszentren.

Der Übernachtungspalast in Torschok

Der Übernachtungspalast Peter des Großen in Strelna wurde Teil des Museumskomplexes Peterhof. Im Zweiten Weltkrieg litt auch diese Anlage unter der deutschen Besatzung. Anschließend stand sie lange leer und fungierte schließlich als Kindergarten.

Der Übernachtungspalast in Strelna

Im wunderbaren Palast der Golizyn-Fürsten bei Wjasjomy verbrachte der russische Nationaldichter Alexander Puschkin einen großen Teil seiner Kindheit. Während der Sowjetherrschaft diente es verschiedenen Zwecken. So fanden sich hier zum Beispiel ein Obdachlosenasyl sowie Schulen für Fallschirmspringer und Panzerbesatzungen (aufgrund der Nähe zur Panzergarnison Kubinka) an. Während der Perestroika wurde der Palast ein Museum.

Der Palast der Golizyn-Fürsten bei Wjasjomy

Hotels

Der Petrowski-Übernachtungspalast in Moskau und kann heute mit der U-Bahn erreicht werden (Station Dynamo). Er wurde für Katharina die Große erbaut, die hier jedoch bloß zweimal nächtigte.

Der Petrowski-Übernachtungspalast

Nach der Revolution befand sich in dem Palast zunächst ein Krankenhaus, später dann eine Polizeistation und der Sitz zahlreicher Volkskommissariate (Ministerien). 1923 wurde die Schukowski-Luftwaffenakademie eingerichtet. Im Zweiten Weltkrieg war das Anwesen, inzwischen in „Palast der Roten Luftfahrt“ umbenannt, der Sitz des sowjetischen Luftwaffenkommandos.

Inzwischen gehört der Petrowski-Palast der Stadtregierung und dient als Veranstaltungsort für öffentliche Empfänge. Im ersten Stock befindet sich ein Museum, die Außenanlagen gehören dem Botiquehotel Petroff Palace. Eine Übernachtung in den Räumen, in denen schon Zaren und Sowjetsoldaten schliefen, kostet mindestens 8.100 Rubel (ca. 110 Euro).

Die Bastion Paul des Ersten

Ein weiteres Hotel in einem ehemaligen Zarenanwesen findet sich in der Sankt Petersburger Bastion Paul des Ersten. Während des russischen Bürgerkrieges lag hier das Hauptquartier der Weißen Armee unter General Judenitsch. Später wurde es als Waisenhaus, Kaufhaus und als Bank benutzt. Im zweiten Weltkrieg brannte das Gebäude komplett nieder. Erst in den 2000ern konnte es wieder aufgebaut werden.

>>> Kasernen, Warenlager, Fabriken: Was die Bolschewiki aus orthodoxen Kirchen machten

Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung ausschließlich unter Angabe der Quelle und aktiven Hyperlinks auf das Ausgangsmaterial gestattet.

Weiterlesen

Diese Webseite benutzt Cookies. Mehr Informationen finden Sie hier! Weiterlesen!

OK!