Einen Zar Viktor hat es nie gegeben. Stattdessen wurde Königin Victoria, geboren am 24. Mai 1819, auf den Namen Alexandrina Victoria getauft. Den Namen Alexandrina erhielt sie von ihrem offiziellen Taufpaten, Alexander I. von Russland. Auf der Taufzeremonie selbst war der Zar jedoch nicht anwesend, die Rolle übernahm ihr Onkel, der Herzog von York.
Alexander I.
George Dawe/Peterhof-Schloss„Alexander I. war zwar nicht auf der Taufzeremonie, erlaubte aber, dass die Thronfolgerin nach ihm benannt wird. Diese Geste sollte an den gemeinsamen Sieg Großbritanniens und Russlands über Napoleon ein paar Jahre zuvor erinnern“, erklärt (rus) Historikerin Natalja Basowskaja.
Der Königin gefiel ihr erster Name allerdings nicht wirklich. Sie unterzeichnete sämtliche Dokumente unter dem Namen Victoria und ließ den Namen Alexandrina spätestens nach ihrer Krönung in Vergessenheit geraten.
Im Alter von 20 Jahren traf Victoria auf den damaligen russischen Kronprinzen, den späteren Zaren Alexander II. Zu dieser Zeit saß sie schon zwei Jahre auf dem britischen Thron und das Königshaus suchte intensiv nach einem Ehemann für sie. Als der gutaussehende Alexander nach London reiste, meinte Victoria ihren Traumprinzen gefunden zu haben.
Der junge Alexander II.
gemeinfrei„Ich glaube, wir sind schon gut befreundet und kommen hervorragend miteinander aus. Ich mag ihn sehr”, schrieb (eng) die junge Königin. Sie unterhielten sich auf Französisch und tanzten zweimal miteinander. Gerüchten zufolge waren die beiden jungen Adeligen ineinander verliebt.
Doch die junge Liebe war zum Scheitern verurteilt. Russland und Großbritannien waren zwei rivalisierende Großmächte und so ging Alexander wenig später zurück nach Sankt Petersburg, Victoria heiratete Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, der 1861 starb. Die Königin trauerte den Rest ihres Lebens um ihn.
Trotz all dieser mit Russland verbundenen Erinnerungen führte auch Victoria den politischen Konflikt beider Länder fort. Während ihrer Herrschaft stritten sich Russland und Großbritannien um die Vorherrschaft in Eurasien. So kam es zu direkten und indirekten Konflikten. Im Krimkrieg von 1853 bis 1856 kämpften britische Truppen an der Seite des Osmanischen Reichs gegen Russland. Zur gleichen Zeit kollidierten die Interessen der beiden Reiche in Afghanistan, weswegen sie im dortigen Bürgerkrieg unterschiedliche Seiten unterstützten.
Schlacht bei Balaklawa
Richard Caton Woodville/Das Nationale Armee-Museum in LondonKönigin Victoria beeinflusste die britische Politik persönlich zwar kaum, aber die antirussische Haltung unterstützte sie. Ihr Biograf Christopher Higgins schrieb einmal, sie hätte bereut, dass sie als Frau nicht am Krimkrieg teilnehmen konnte. Als die Russen in den 1870ern das Osmanische Reich endgültig besiegten, fürchtete man sich in London vor einer russischen Vorherrschaft im Nahen Osten. Ein Krieg schien unausweichlich und Victoria sagte: „Diesen Russen kann man nicht vertrauen.“
Ein wichtiger Grund für Victorias Abneigung gegenüber Russland war Basowskaja zufolge auch die innenpolitische Entwicklung. Victoria befürwortete eine konstitutionelle Monarchie und sah sich hauptsächlich als Symbol für den Staat. In Russland regierten die Zaren derweil nach wie vor absolut. „Ich glaube, dass sie ein Negativbeispiel brauchte, um sich selbst zu beweisen, dass sie auf dem richtigen Weg war“, meint Basowskaja.
Wenn man sich diese Abneigung vor Augen führt, war es keine Überraschung, dass sie nicht glücklich war, als ihr zweitältester Sohn Prinz Alfred in Sankt Petersburg Maria Alexandrowna, die Tochter Alexander des Zweiten, heiratete. Aber da der Prinz in Maria verliebt war, akzeptierte sie die Beziehung. „Ich kenne Maria nicht und kann mir vorstellen, dass es noch einige Schwierigkeiten gibt. Entsprechend habe ich gemischte Gefühle.“
Maria Alexandrowna mit ihrem Mann Prinz Alfred und dem Sohn Alfred
Hills&Saunders/Königliche SammlungMaria war die einzige Romanow, die je in die britische Königsfamilie einheiratete. Wirklich zufrieden war sie in England jedoch nicht. Das Klima, die Menschen, das Essen, die Paläste, die Opern und natürlich ihre Schwiegermutter, die sie in Briefen an ihren Vater als „verrückte, alte Frau“ bezeichnete (eng), bereiteten ihr Unbehagen. Als ihr Ehemann der Fürst von Sachsen-Coburg-Gotha wurde und sie mit ihm nach Deutschland zog, war Maria glücklich, dass sie ihre Schwiegermutter nicht mehr sehen musste.
Obwohl sie die Herrscherin eines mächtigen Reiches war, konnte Victoria nicht bestimmen, in wen sich ihre Verwandten verliebten. Da das Angebot an Hochadeligen in Europa eher begrenzt war, handelte es sich bei den Auserwählten oft um Russen. 1894 verlobte sich ihre Enkelin Alix, Prinzessin von Hessen-Darmstadt, mit dem russischen Thronfolger Nikolaus Alexandrowitsch. Obwohl sie Nikolaus sympathisch fand, lehnte Victoria die Ehe ab. Russland erschien ihr zu unsicher für eine junge Frau.
Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Fjodorowna mit ihren Kindern
gemeinfreiDa Alix in Deutschland lebte, war Victorias Einfluss jedoch begrenzt. Erneut musste sie die Entscheidung ihrer Verwandten akzeptieren. Dass der spätere Zar Nikolaus II. und Victorias Enkelin sich wirklich liebten, besänftigte die Königin etwas. „Noch nie habe ich zwei Leute gesehen, die tiefer ineinander verliebt waren als sie und er“, schrieb (eng) sie in ihrem Tagebuch. „Das ist das Einzige was mich etwas beruhigt. Ansonsten habe ich Sorgen wegen der Gefahren und der Verantwortungen.“
Ganz unbegründet war ihre Angst nicht. Sowohl Nikolaus als auch Alix wurden 1918 von revolutionären Bolschewiki ermordet. Victoria erlebte dies jedoch nicht mehr, sie starb 1901 nach einer langen Regierungszeit.
Victorias Archive und andere Dinge, die mit ihrem Verhältnis zu den Königshäusern Europas zusammenhängen, können im Osbourne House, einer ehemaligen königlichen Residenz in East Cowes, Isle of Wight, angesehen werden.
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