„Duga“: Eine gigantische Radaranlage im Sperrgebiet von Tschernobyl

Ehemaliges Duga-Militärradarsystem.

Ehemaliges Duga-Militärradarsystem.

Legion Media
Dieses streng geheime Luftabwehrradar bereitete ab Mitte der 1970er Jahre Radiohörern weltweit Kopfschmerzen.

Während des Kalten Krieges wurden beim Wettrüsten immer neue Waffen entwickelt. Die UdSSR erkannte, dass sie ihre Technologien zur Luftsicherheit verbessern musste.

In der Mitte der 1960er Jahre stellten der Konstrukteur Wladislaw Repin und der Wissenschaftler Alexander Mints ein dreistufiges System von Radarsystemen zur Raketenerkennung vor. Die erste Stufe waren Satelliten, die die Flamme der Raketen im Infrarotspektrum verfolgten. Die zweite waren Überhorizont-Radarsysteme, die Funkwellen nutzten, um die Raketen aufzuspüren und die dritte Stufe bestand aus Boden-Radarsystemen, die die Raketen erfassten, wenn sie sich dem Boden näherten. Auf diese Weise sollten Ausfälle minimiert werden. Zugleich stieg die Verantwortung des Personals.

Der Tourist fotografiert das von der Sowjetunion in Tschernobyl betriebene Duga-Radarsystem.

Das Problem erschien auf der zweiten Ebene: Physiker verfügten nicht über die notwendige Technologie für Überhorizont-Radar. Unter der Leitung von Ingenieur Franz Kusminski wurde auf eine 1946 vom Wissenschaftler Nikolai Kabanow erfundene Technik zurückgegriffen. In der Ionosphäre - der oberen Schicht der Erdatmosphäre in der Höhe von 60 bis 1.000 Kilometern - sind aufgrund der Weltraumstrahlung viele freie Elektronen enthalten. Man entdeckte, dass die Ionosphäre ungefähr auf der Höhe von 300 Kilometern Funkwellen widerspiegelt. Die Methode von Kabanow funktioniert folgendermaßen: Eine Quelle sendet ein Funksignal aus. Diese erfasst zum Beispiel ein Flugzeug in einer Entfernung von 900 bis 4.000 Kilometern. Das Signal wird reflektiert und an die Empfangsantenne gesendet, die das Signal analysiert und so Erkenntnisse über die Größe und Geschwindigkeit des Flugobjekts gewinnt. Diese Methode konnte auch zum Erkennen von Raketen dienen. Die Funkwellen würden einfach die Plasmagasspur der Rakete widerspiegeln.

Der erste Duga-Komplex in der Nähe von Nikolaew.

Mitte der 1960er Jahre begann der Bau des ersten experimentellen Überhorizont-Radars auf dem Territorium der Ukrainischen Sowjetrepublik in der Nähe der Stadt Nikolajew. Das Projekt hieß „Duga“ (zu Deutsch „Bogen“). Es war riesig. Die Empfangsantenne war 135 Meter hoch und 300 Meter lang, die Getriebeantenne 85 Meter hoch und 210 Meter lang.  Es existierte ein weiterer über 90 Meter langer Bau mit 26 riesigen Zweibodenübertragungseinheiten. Der Komplex nahm am 7. November 1971 den Betrieb auf.

1970er Jahre.

Die Tests liefen erfolgreich, daher schlug Franz Kaminski den Bau zweier weiterer „Duga“-Komplexe in Militärstädten an verschiedenen Standorten in der UdSSR vor. Der Bau begann in den 70er Jahren. Das erste der beiden entstand in Russlands Fernem Osten bei Komsomolsk am Amur. Das zweite wurde in der Ukraine in der Nähe der Stadt Tschernobyl in Betrieb genommen. Die beiden Standorte waren so gewählt, dass sie negative Auswirkungen auf den Empfang durch die Polarkappe in der Ionosphäre minimierten. Auf diese Weise war ein „blinder Fleck“ ausgeschlossen.

Die Nahansicht von „Duga“: Die glänzenden Teile sind Heizkörper.

Die beiden neuen Komplexe waren deutlich größer als der erste in Nikolajew. Das Hauptradar in Tschernobyl bestand aus zwei Empfangsantenneneinheiten: eine 140 Meter hoch und 900 Meter lang, die andere 90 Meter hoch und 500 Meter lang. Die 300 Meter lange Übertragungsantenneneinheit wurde in der Nähe von Tschernigow erbaut, sodass zwischen den Teilen des Komplexes etwa 80 Kilometer lagen.

Die „Duga“ von Tschernobyl war streng geheim. Niemand konnte sich daher den Ursprung von Funksignalen erklären, die ab 1976, während beide Komplexe im Testmodus arbeiteten, in vielen Ländern der Erde die Radiosender störten. Bald wurde das Hoheitsgebiet der UdSSR als Quelle ausgemacht, doch keine der bekannten Methoden gegen die störenden Signale half. Das Signal änderte ständig die Frequenz.  Die Nerven der Radiohörer waren arg strapaziert, so dass mehrere Länder wie z.B. Norwegen, Schweden, die Schweiz und andere bei der UdSSR eine Protestnote einreichten und ein internationales Übereinkomm zur Radiofrequenzzuteilung anregten.

Die spezifischen Geräusche von „Duga“ im Radio

Die UdSSR entschloss sich zur weiteren Geheimhaltung und wollte bei der Modernisierung von „Duga“ entsprechende Anpassungen vornehmen. Dazu gehörten auch Technologien, um die Polarkappe in der Ionosphäre noch besser zu umgehen und eine modifizierte Raketenerkennung.  

Ehemaliges Duga-Militärradarsystem in der Sperrzone von Tschernobyl.

Am 26. April 1986 geschah in Tschernobyl die Katastrophe: Reaktor Nr. 4 des örtlichen Kernkraftwerks explodierte. „Duga“ lag nur zehn Kilometer von der Anlage entfernt. Die Gammastrahlung nach dem Reaktorunglück beeinträchtigte die Funktion. Die Militärstadt rund um „Duga“ wurde evakuiert, aber das Personal blieb bis 1987 in einer speziellen unterirdischen Kaserne vor Ort.

So sieht „Duga“ heute aus   

Die Ausrüstung wurde nach Komsomolsk am Amur verlegt. Es gab neue Entwicklungen in der Luftverteidigung, so dass das Projekt 1988 aufgegeben wurde. Die Anlage wurde in den 1990er Jahren durch ein Feuer zerstört. Damit endete die Geschichte der „Duga“. Der Komplex bei Komsomolsk am Amur wurde 1998 demontiert. 1995 stellte das experimentelle Radar in Nikolajew seine Arbeit ein und wurde im Jahr 2001 abgebaut.

Die „Duga“-Anlage von Tschernobyl existiert noch aufgrund der Lage im Katastrophengebiet. Dieser Komplex ist der letzte erhaltene. Er ist ein Denkmal für die Luftabwehr der UdSSR.

Ehemaliges Duga-Militärradarsystem in der Sperrzone von Tschernobyl.

>>> Tschernobyl-Katastrophe: Warum die Sowjetunion so lange schwieg

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