Von Brandt bis Kohl: Wie die Wirtschaft die Beziehungen zwischen BRD und Sowjetunion verbesserte

Kira Lisitskaya (Photo: Keystone/Getty Images; Public domain)
Ein Jahrzehnt nach dem Ende des Krieges und der Kapitulation Nazideutschlands gelang es der UdSSR und der BRD 1955, diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Trotz politischer Hindernisse seitens der Regierung Konrad Adenauers gelang es der deutschen Wirtschaft nicht nur, eine Wirtschaftspartnerschaft aufzubauen, sondern auch bis 1990 eine führende Rolle im sowjetischen Handel zu übernehmen.

Die ersten Schritte

In den 1950er Jahren nahmen die Sowjetunion und die BRD Handelsbeziehungen auf, indem sie das Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr unterzeichneten. Die Initiative stieß auf zahlreiche Hindernisse: Politisch wurde sie durch die Krisen in den Ost-West-Beziehungen, einschließlich der harten Außenpolitik der Sowjetunion, und die Abneigung der westdeutschen Führung gegenüber Moskau auf die Probe gestellt. In der Praxis hatte die westdeutsche Wirtschaft mit der Bürokratie und der mangelnden Flexibilität der sowjetischen Planwirtschaft zu kämpfen. Moskau schätzte jedoch die „Schnelligkeit und Präzision“ deutscher Unternehmer insgesamt sehr positiv ein, wie Heinrich Vogel, ehemaliger Direktor des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln, in seinem Artikel Konvergenz durch Handel – Deutsche Unternehmen in Russland von 1950 bis 1990 schreibt.

Bundeskanzler Willy Brandt gibt am 28. September 1969 im Deutschen Bundestag in Bonn eine Regierungserklärung ab.

Die Sowjetunion lieferte vor allem Rohstoffe an die BRD: Kohle, Holz, Baumwolle, Öl – in diesem Zusammenhang spielte die Suez-Krise 1956 Moskau in die Hände, die die Westmächte zwang, nach alternativen Bezugsquellen außerhalb des Nahen Ostens zu suchen. Die BRD wiederum verkaufte der UdSSR Werkzeugmaschinen, Guss- und Stahlerzeugnisse, darunter Rohre für die Erdgas-Pipelines, die Moskau zur Versorgung der sozialistischen Länder verlegte. Die Aufträge für Rohre von Mannesmann, Phoenix-Rheinruhr, Krupp, Siemens, Thyssen und anderen großen westdeutschen Unternehmen (die die Grundlage des bilateralen Handels bildeten) hatten einen Wert von vielen Millionen.

Diese Zusammenarbeit wurde 1963 aufgrund der Einmischung Washingtons unterbrochen: Der Kalte Krieg gewann an Fahrt – kurz zuvor hatte es die Kubakrise gegeben. Die politische Entscheidung des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer bedeutete schwere Verluste für die Wirtschaft, und so kühlte sich das Verhältnis zwischen den Unternehmern und der Regierungspartei CDU/CSU ab.

1. Februar 1970, Essen, Deutschland, Konferenzraum des Hotels Kaiserhof. Unterzeichnung des ersten Vertrags über Erdgaslieferungen aus der UdSSR an die BRD.

Deal des Jahrhunderts

Noch im selben Jahr trat der Bundeskanzler zurück. 1969 wurde Willy Brandt Kanzler und suchte mit seiner Neuen Ostpolitik, den Dialog mit den sozialistischen Ländern zu verbessern. „Unser nationales Interesse erlaubt es nicht, zwischen dem Westen und dem Osten zu stehen, unser Land braucht die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem Westen und die Verständigung mit dem Osten“, sagte der Bundeskanzler.

Der Handel mit ihnen war nun nicht mehr so eng mit der Politik verbunden wie früher. Während 1968 der Gesamtumsatz der BRD mit der UdSSR 567 Millionen US-Dollar betrug, erreichte er 1969 bereits 740 Millionen, wie Heinrich Vogel in seinem Artikel feststellt.

(v.l.n.r.): Staatssekretär im Bundeskanzleramt Egon Bahr, Bundeskanzler Willy Brandt, Außenminister Walter Scheel, Regierungssprecher Rüdiger von Wechmar und Staatssekretär im Auswärtigen Amt Paul Frank auf dem Roten Platz vor der Basilius-Kathedrale in Moskau.

Am 1. Februar 1970 wurde in Essen ein historisches Abkommen geschlossen – der Deal des Jahrhunderts, bekannt als die Erdgas für Rohre. Dieses sah vor, dass die BRD der UdSSR im Austausch gegen Erdgas aus den kurz zuvor entdeckten Feldern in Westsibirien Ausrüstung für den Bau einer Gaspipeline nach Westeuropa liefert. Die deutsche Seite wurde durch Mannesmann und Ruhrgas vertreten, die die Rohre herstellten und das sowjetische Gas in Deutschland verkauften, sowie durch die Deutsche Bank, die das Geschäft mit einem Kredit von 1,2 Milliarden DM finanzierte. Die Gasversorgung wurde drei Jahre später aufgenommen.

Bundeskanzler Willy Brandt und der sowjetische Ministerpräsident Alexej Kossygin unterzeichnen den Moskauer Vertrag über Gewaltlosigkeit und Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion am 12. August 1970 im Moskauer Kreml.

So begann die Energiekooperation zwischen Bonn und Moskau, die nach dem Ausbruch des Jom-Kippur-Kriegs zwischen der Koalition der arabischen Staaten und Israel im Oktober 1973 noch an Bedeutung gewann. Für den Westen hatte der Konflikt schwerwiegende Auswirkungen, da die Organisation der Arabischen Erdöl exportierenden Länder (OAPEC) ein Embargo für Exporte in Länder verhängte, die Israel unterstützten. Der Konflikt im Nahen Osten führte zu einem radikalen Wandel in der Energiepolitik, nicht nur in Deutschland selbst, sondern auch in anderen westeuropäischen Ländern. Um die Abhängigkeit vom Erdöl aus dem Nahen Osten zu verringern, wurden unter anderem die Einfuhr von Öl und Gas aus der UdSSR erhöht.

Herstellung von Großrohren für Gas- und Ölpipelines, die in die UdSSR geliefert werden, in einer Halle des neuen Werks der Mannesmann AG. Mülheim, Bundesrepublik Deutschland.

In der Politik kam die Kooperationsbereitschaft der Staaten durch die Unterzeichnung eines weiteren historisch bedeutsamen Vertrages von Moskau am 12. August 1970 zum Ausdruck, dem ersten Ergebnis der Neuen Ostpolitik des Bundeskanzlers. Willy Brandt und Leonid Breschnew bekannten sich zu den Zielen der Entspannung und der Erhaltung des internationalen Friedens. Das Dokument wurde zum Ausgangspunkt für gutnachbarschaftliche Beziehungen und die Zusammenarbeit zwischen der BRD und der Sowjetunion und legte den Grundstein für spätere Abkommen und Vereinbarungen, die letztendlich zur deutschen Einheit beitrugen.

Geheimgespräche

1979, kurz vor Weihnachten, fand in dem monumentalen Gebäude des Staatlichen Planungskomitees (Gosplan) in der Nähe des Roten Platzes eine geheime Sitzung statt. Auf der einen Seite standen drei deutsche Banker, auf der anderen Nikolaj Bajbakow, der Vorsitzende von Gosplan, der für die Planung und Kontrolle der Entwicklung der sowjetischen Wirtschaft zuständigen Regierungsbehörde. „Ich hoffe, sie finden nie heraus, dass ich Ihnen das zeige“, sagte er und deutete mit seinem Zeigestock auf eine Karte von Europa und Asien, auf der ich deutlich den Stempel GEHEIM –Generalstab der Streitkräfte der UdSSR sah. Die Karte veranschaulichte präzise den weiteren Ausbau der Erdgasstrassen im Interesse eines friedlichen Kooperationsprojekts. Wir erinnerten uns an die Pipelines von der Jamal-Halbinsel in Ostsibirien nach Uschgorod in der Westukraine und ahnten ihre politische Bedeutung“, erinnerte sich ein deutscher Vertreter an das Treffen.

Mannesmann-Großrohre werden in einem Abschnitt der im Bau befindlichen Urengoi-Uschgorod-Gaspipeline verlegt.

Das zweite Pipeline-Projekt kam zur Diskussion. Die gleichen Partner – Mannesmann, Ruhrgas und Deutsche Bank – wurden eingeladen, sich an der riskanten Initiative zu beteiligen. Ein in den internationalen Beziehungen noch nie dagewesener Kredit in Höhe von 10 Milliarden DM wurde erörtert. Zu den Sondierungsgesprächen in der Zentrale der Deutschen Bank in Düsseldorf wurde aufgrund der hohen Geheimhaltungsstufe nicht einmal ein Dolmetscher zugelassen.

Die Verhandlungen verliefen zunächst zügig, doch die Aussichten auf eine Zusammenarbeit wurden erneut durch die internationale Lage beeinträchtigt. An der Wende von den 1970er zu den 1980er Jahren verschärfte sich die Konfrontation zwischen Ost- und Westblock: Die UdSSR war in Afghanistan einmarschiert, und die Vereinigten Staaten verfolgten unter dem neu ins Amt gekommenen Präsidenten Ronald Reagan einen härteren Kurs gegenüber der Sowjetunion.

Wladimir Promyslow, Vorsitzender des Exekutivkomitees der Moskauer Stadtverwaltung, und Dr. Friedrich Wilhelm Christians, Vertreter des Vorstands der Deutschen Bank, legen den Grundstein für das künftige Gebäude der Repräsentanz der Deutschen Bank in der UdSSR in Moskau.

Die Haltung Washingtons und seine Versuche, ein Embargo für die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen für die Pipeline zu verhängen, wurden zum Haupthindernis für das Projekt. Die europäischen Länder, die früher die UdSSR bei dem Projekt belieferten, unterstützten die Maßnahmen der USA jedoch nicht und weigerten sich, derartige Beschränkungen aufzuerlegen. Trotz der Kritik kamen die Gespräche – zunächst heimlich, später offiziell – voran, vor allem dank der Eröffnung einer Repräsentanz der Deutschen Bank in Moskau im März 1973.

Nach einer langen Auseinandersetzung zwischen Bundeskanzler Helmut Schmidt und seinem Nachfolger Helmut Kohl auf der einen und Reagan auf der anderen Seite wurde das Projekt zurückgeschraubt – aber durchgeführt. Die Jamburg-Pipeline wurde 1989 in Betrieb genommen.

Bis 1990 hatte die BRD eine führende Position im Handel zwischen der Sowjetunion und den kapitalistischen Ländern. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Sowjetunion bereits mehrere Jahre der Perestroika hinter sich, einer Periode tiefgreifender politischer und wirtschaftlicher Veränderungen. Zur gleichen Zeit befand sich die sowjetische Wirtschaft in einer Rezession. Im Jahr 1991 brach die UdSSR zusammen und eröffnete neue Möglichkeiten für deutsche Unternehmen in der ehemaligen Sowjetunion.

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