Warum gingen die Sowjetmenschen nicht in Restaurants?

Ein sowjetisches Restaurant, 1977

Ein sowjetisches Restaurant, 1977

Boris Kavashkin, Algis Palenis/TASS
Die Sowjetbürger aßen meist in Kantinen oder zu Hause und feierten dort zu allen Anlässen. Aber es gab ein paar wenige, die dennoch in Restaurants gingen.

Das Restaurant Plakútschaja íwa (dt.: Trauerweide): Schmuggler locken einen anständigen Sowjetbürger, Semjon Gorbunkow, dorthin. Ihr Ziel war es, ihn betrunken zu machen, damit ihn eine Femme fatale verführen konnte und ihm Schlaftabletten in sein Weinglas gab. Und dann wurden die in seinem Gipsarm eingenähten Diamanten gestohlen…

Eine Szene aus dem Film „Der Brillanten-Arm“

Diese Szene stammt aus dem kultigen sowjetischen Film Der Brillanten-Arm (1969) und spiegelt die Haltung der meisten Sowjetbürger (und der offiziellen Propaganda) gegenüber Restaurants wider. Woher hatten die Besucher denn überhaupt das Geld für den Besuch? Es war auf jeden Fall durch unehrliche Arbeit verdient!

In dem Film Interdjewotschka (1989) zum Beispiel gingen Devisenprostituierte, die auf Ausländer aus waren, in Restaurants. Darin spiegelt sich auch die Haltung gegenüber diesem Publikum wider: Wer in ein Restaurant ging, war ein Gangster oder eine Prostituierte!

Restaurants waren teuer

Um in einem Restaurant zu speisen, musste ein Sowjetbürger ein Viertel oder sogar die Hälfte seines Monatsgehalts ausgeben. Anfang der 1980er Jahre kostete es beispielsweise etwa 25 Rubel, in einem Restaurant zu speisen. Das entsprach in etwa dem monatlichen Stipendium eines Studenten in der Hauptstadt. Und das durchschnittliche Monatsgehalt eines Arztes betrug etwa 120 Rubel.

Eine Szene aus dem Film „Mimino“

Daher galten Restaurants zu Recht als Unterhaltungsmöglichkeit für die Elite und die Reichen. Gewöhnliche Sowjetbürger konnten sich einen solchen Luxus einfach nicht leisten.

„Mein zukünftiger Ehemann hat mich buchstäblich für sich gewonnen, als er mich Mitte der 1980er Jahre in ein Restaurant einlud“, erinnert sich Olga aus Moskau. „Er, ein Wissenschaftler und Doktorand, war extra nach Chakassien gereist, um auf einer Baustelle zu arbeiten, brachte von dort eine große Summe Geld mit, und wir gingen ein paar Mal in eines der schicken Restaurants am Kalininskij Prospekt [dem heutigen Nowyj Arbat] essen.“

In einem Restaurant in der fernöstlichen Stadt Ussurijsk

Ein Mittagessen in einem Restaurant war viel preiswerter als ein Abendessen. Meistens handelte es sich um eine begrenzte Anzahl von Fertiggerichten, so etwas wie ein modernes Business Lunch. Aber trotzdem gingen nur wenige Menschen zum Mittagessen in ein Restaurant.

Lesen Sie hier, was in Restaurants am meisten kostete.

Es war schwer, einen Platz in einem Restaurant zu bekommen

Es gab nur sehr wenige Restaurants. In Moskau und Leningrad etwas mehr, in Provinzstädten wie z. B. Taganrog (zu Sowjetzeiten lebten dort etwa 300.000 Menschen) gab es nur wenige. In Kleinstädten, selbst in den nicht weit von Moskau entfernten, gab es überhaupt keine derartigen Lokale – und wer ein üppiges Abendessen genießen wollte, musste an einen besonderen Ort gehen.

Im Moskauer Restaurant „Praga“, 1968

Daher war es schwierig, in diese wenigen Restaurants zu gelangen. Und nicht jeder wurde eingelassen. Um hineinzukommen, musste man dem Restaurantchef meist etwas „in die Hand drücken“. Der musterte die potentiellen Gäste intensiv und teilte den Ungeeigneten mit, dass es keine Plätze gäbe.

Es ist erwähnenswert, dass die Restaurants oft vornehm aussahen, vor allem nach den Maßstäben eines sowjetischen Menschen, der an Einfachheit gewöhnt war. Das Restaurant Prag in Moskau verfügte beispielsweise über ein riesiges Aquarium, das die Bewohner der Chruschtschowkas in Erstaunen versetzte.

Eine Szene aus dem Film „Zwölf Stühle“

Abends gab es immer Live-Musik und viele Leute kamen zum Tanzen. Es war auch üblich, sich für das Restaurant schick zu machen; wer ungepflegt oder zu schlicht gekleidet war, hatte einfach keine Chance, eingelassen zu werden.

Wer das Glück hatte, einen Platz im Etablissement zu ergattern, musste den Kellner motivieren: für einen anständigen Tisch, für eine gute Bedienung, für frischere Gerichte und bessere Getränke. Der Film Zwölf Stühle (1971) zeigt auf komödiantische Weise arrogante Kellner, die zu geizige Bürger einfach ignorieren und dann widerwillig die Bestellung aufnehmen.

Ein sowjetisches Café

Kellner waren im Allgemeinen fast himmlische Wesen und eine Arbeitsstelle in einem Restaurant war wie ein Fünfer im Lotto. Zusätzlich zu ihrem Lohn erhielten sie ein saftiges Trinkgeld und hatten Zugang zur Küche. In der Regel nahmen sie die nach großen Banketten übrig gebliebenen Speisen mit. Ein solcher Fall wird in dem Film Bahnhof für zwei (1982) gezeigt: Eine Kellnerin bietet einem Bekannten an, ihn zu verköstigen, worauf dieser zimperlich fragt: „Sind das Reste?“ „Das sind Reste“, sagt sie verärgert und stolz.

In der UdSSR gab es keine Restaurantkultur

„Ich kann an meinen Fingern abzählen, wie oft ich in einem Restaurant gewesen bin. Ein paar Mal auf der Hochzeit von jemandem. Es ist mir einfach nie in den Sinn gekommen, dorthin zu gehen. Wir haben nach der Arbeit zu Hause gegessen. Am Wochenende gingen wir zu meinen Eltern zum Essen. Dann kamen die Kinder, und es gab niemanden, bei dem wir sie abends lassen konnten, um ins Restaurant zu gehen“, erinnert sich Jelena, eine Buchhalterin aus einem Moskauer Vorort. Übrigens durften Kinder unter 16 Jahren abends dorthin nicht mitkommen.

In einem Buffet der Stadt Norilsk

Geburtstage, gesellige Abende, Feiertage und oft sogar Hochzeiten – all das wurde zu Sowjetzeiten zu Hause gefeiert. Es gab eine ganze Tischkultur. Salate wurden aus den vorhandenen Produkten zubereitet und es wurden die im Sommer eingelegten Essiggurken herausgeholt.

Viele Sowjetbürger wuchsen in Dörfern oder kleinen Arbeitersiedlungen auf, kamen in die Städte und sparten an allem, um ihre Familien zu ernähren und sich zu kleiden. Ein Restaurantbesuch galt als etwas Überflüssiges, ein unnötiger Luxus, ja sogar als unmoralisch.

Und wo gingen die Menschen hin, wenn nicht in Restaurants?

Man konnte in Kantinen zu Mittag essen, die nur tagsüber geöffnet waren. In allen Instituten, Produktionsbetrieben, Bibliotheken und sonstigen Einrichtungen gab es Kantinen mit Fertiggerichten zur Auswahl. Für 50 Kopeken bis 1 Rubel konnte man ein komplettes Mittagessen mit Vorsuppe, Nachspeise und Getränk bekommen (Wie erinnern uns ein Restaurantbesuch konnte locker 25 Rubel kosten!).

Der georgische Schriftsteller Giorgij Zyzyschwili im Restaurant „Praga“ in Moskau

Darüber hinaus gab es kleine Cafés, Konditoreien, Bierbars und Getränkestände. In der späten Sowjetzeit gab es sogar Cocktailbars, und in solchen Bars wurden auch Diskotheken veranstaltet. In Theatern gab es meist ein bufet. Dort konnte man z. B. Cognac, Nüsse, ein Sandwich oder ein Dessert bestellen.

Und wer eigentlich besuchte Restaurants?

Gewöhnliche Sowjetbürger gingen nur zu sehr großen Anlässen dorthin – und meistens sparten sie im Voraus Geld dafür. Aber es gab auch eine Gruppe von Menschen, die häufig in Restaurants gingen. Abgesehen von den Kriminellen besuchte die Elite – Beamte, hochrangige Offiziere und Professoren sowie deren Kinder, die so genannte „goldene Jugend“ – die Restaurants.

Artisten eines französischen Zirkus' nehmen an einem Bankett zu ihren Ehren teil.

„Ich erinnere mich, wie ein Professor von meinem Lehrstuhl uns in das Restaurant Peking einlud – das war [für uns] ein großes Ereignis, aber er selbst ging oft dort hin“, erinnert sich Olga. Es war üblich, in einem Restaurant „einen auszugeben“, wenn man einen Abschluss oder eine Beförderung erhielt.

„Mein Großvater diente in den 1950-60er Jahren in einer militärischen Eliteeinheit und ging sehr oft in Restaurants. Er verdiente sehr gut und ging mit seinen Dienstkollegen aus, sie ließen buchstäblich „die Sau raus“, sie kannten alle Kellner, und die versorgten sie mit Alkohol, selbst wenn es im Restaurant keinen mehr gab. Und am Ende halfen sie ihnen sorgsam in ein Taxi oder zu ihrem persönlichen Fahrer", erinnert sich Maria, Dozentin an der Staatlichen Universität Moskau.

Natürlich gingen auch Ausländer in Restaurants. „Eine der seltenen Gelegenheiten, bei denen ich ein Restaurant besucht habe, war, als wir ungarische Studenten zu Besuch hatten, mit denen wir in das Restaurant Budapest gingen“, erinnert sich Sergej Moskauer.

Auch Schriftsteller, Journalisten und berühmte Schauspieler, die zu Sowjetzeiten gutes oder sogar sehr gutes Geld verdienten, verbrachten ihre Zeit kulturvoll in Restaurants. „Wir gingen ins Theater und in Restaurants“, schreibt Sergej Dowlatow in seiner Kurzgeschichtensammlung Der Kompromiss. „Kurzum, wir führten einen für die kreative Intelligenzija normalen Lebensstil.“

>>> Wo ging man in der Sowjetunion hin, wenn man etwas trinken wollte?

>>> Sowjetische Bars: Die lange Geschichte der russischen Trinkkultur

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