Teilnehmer des "Russischen Marsches" in Moskau, 2013. Foto: Wladimir Astapkovitsch / RIA Nowosti
In Russland wurde zum ersten Mal eine Studie über ethnische Spannungen und Straftaten erstellt. Aus den Daten geht hervor, dass es zwischen September 2013 und März 2014 zu 570 ethnisch motivierten Übergriffen in Russland kam. Die Gründe für die Taten, so die Verfasser, sind hauptsächlich einer unkontrollierten Migration, der sozialen und wirtschaftlichen Depression und dem Fehlen einer klaren Innenpolitik geschuldet.
Die Karte des Zorns
Die russische Nation bleibt in sozialer, ideologischer und kultureller Hinsicht weiterhin gespalten. Das Problem der Spaltung ist von einer neuen Bedrohung abgelöst worden: dem Anstieg der Ausländerfeindlichkeit. Der Erforschung dieses gesellschaftlichen Phänomens ist die Analyse „Trauben des Zorns“ gewidmet, ein unabhängiges Projekt, das durch das Zentrum für die Erforschung nationaler Konflikte gemeinsam mit der föderalen
Informationsagentur „Klub der Regionen“ gesteuert wurde. Als Hauptgründe für die ethnischen Spannungen und Ausländerfeindlichkeit nennen die Autoren der Analyse die unkontrollierte Migration, das Fehlen einer klaren Innenpolitik sowie das Unwissen der russischen Bevölkerung über die Alltagssituation der Migranten und ein Mangel an interkultureller Kommunikation. Unabhängig voneinander zeigten die Experten „verlorene“ Regionen auf, in denen ein Anstieg des Nationalismus unausweichlich sei, unabhängig von der ethnischen Zusammensetzung der dortigen Bevölkerung.
Auf der interaktiven Karte färbten die Soziologen die Regionen Russlands in fünf verschiedene Farben: von Rot als Farbe für die angespannteste Situation bis Blau als Farbe für das friedlichste Zusammenleben. „Rot“ waren in der Auflistung die Metropolen Moskau und Sankt Petersburg, die Regionen Stawropol, Dagestan und Tatarstan. Dort wurden mehrfache Fälle von „massenhaften Gewalttaten“ mit ethnischem Hintergrund festgestellt. Zu den ruhigeren blauen Regionen zählen solche, die historisch bedingt eine ethnische Mischung haben, zum Beispiel Kabardino-Balkarien oder Karatschai-Tscherkessien. Außerdem nennen die Forscher die Regionen Tschetschenien, Kalmückien, Chakassien und Mordwinien als Gebiete mit geringerer Ausländerfeindlichkeit und verstärkter Interaktion der Ethnien.
Die Experten stellten zudem fest, dass in Russland eine Abwanderung vom landwirtschaftlich geprägten Süden in dem industrialisierten und reicheren Norden erfolgt. Die Islamisierung wirkt sich auf viele russische Regionen aus und nicht nur auf primär muslimisch geprägte. Dem Leiter der Agentur „Klub der Regionen“ Sergej Starowojtow zudfolge glaubt die Hälfte der Experten, „dass das Phänomen der ethnischen Kriminalität ein weiterer ernstzunehmender Grund ist, die den Anstieg der interethnischen Spannung fördert.“
Ethnische Ghettos, der Kaukasus und chinesische Migranten
Die Expertengruppe des Projekts „Trauben des Zorns“ stellt fest, dass die Region Moskau aufgrund der positiven Wirtschaftsentwicklung und der Beschäftigungsmöglichkeiten für Migranten attraktiv ist. Gleichzeitig verfügt die russische Hauptstadt über alle theoretischen Voraussetzungen für das Entfachen interethnischer Konflikte: hohe Bevölkerungsdichte, starke soziale Schichtung, sich oft ändernde (kommunal-)politische Rahmenbedingen und eine hohe Kriminalitätsrate. Die Experten sind der Ansicht, dass Moskau die einzige Stadt sei, in der sich Ghettos bilden können. „Die Proteststimmung in Moskau wird weiter ansteigen. Vertreter
einiger Religionsgemeinschaften sagen in persönlichen Gesprächen, dass sogar interkulturelle Kriege möglich sind“, bemerkt Oleg Atmaschkin, Direktor des Zentrums für den Dialog der Weltkulturen. Außerdem ist es den Urhebern der Studie wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass eine Destabilisierung der Situation in Moskau zu einem Anstieg der Spannungen im ganzen Land führen könnte.
Sankt Petersburg ist nach Moskau die zweitgrößte Stadt des Landes. Auffällig ist die Gewalt, mit der die Konflikte in der nördlichen Hauptstadt des Landes ausgetragen werden. Während in Moskau Konflikte vermehrt politischer Natur sind und von den Medien beleuchtet werden, nehmen sie in Sankt Petersburg die Gestalt von lokalen, nicht öffentlich wahrgenommenen, körperlichen Auseinandersetzungen oft mit tödlichem Ausgang an.
Der Studie zufolge wirkt sich der Konfliktherd Nordkaukasus negativ auf die umliegenden Regionen aus. In Powolschje gebe es einen eigenständigen Spannungsherd, so die Autoren. Zur Risikozone wurden einige Regionen Sibiriens gezählt, wo die Verbreitung eines radikalen Islams unter den Zugezogenen destabilisierend wirken könnte, und der Ferne Osten, wo Migranten und Saisonarbeiter aus China zu einem ernsten Problem werden.
In der nächsten Studie, die im Herbst 2014 erscheinen soll, wollen die Experten grundlegende Empfehlungen an die Regionalbehörden, die mit ethnischen Spannungen zu kämpfen haben, formulieren. Es wird erwartet, dass auch die Republik Krim in den „gefährdeten“ Bereich kommt. Starowojtow denkt, dass das neue Subjekt im nächsten Ranking „sicherlich irgendwo zwischen den orangenen und gelben Regionen landet“.
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