Putin fordert mehr Toleranz im Umgang mit sexuellen Minderheiten

Die meisten Menschen in Russland hätten Homosexuellen schon immer feindlich gegenübergestanden, meinen Experten. Foto: Andrej Stenin/RIA Novosti

Die meisten Menschen in Russland hätten Homosexuellen schon immer feindlich gegenübergestanden, meinen Experten. Foto: Andrej Stenin/RIA Novosti

Überraschende Worte aus dem Munde des russischen Präsidenten: Er empfiehlt mehr gegenseitige Toleranz, wenn es um sexuelle Orientierungen geht. Die LGBT-Bewegung hofft nun auf mehr Rechte, doch Soziologen zweifeln, ob das etwas an der weit verbreiteten russischen Homophobie ändern wird.

In einem Film über die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 äußerte sich Russlands Präsident Wladimir Putin zum Thema sexuelle Orientierung. „Sowohl Menschen mit traditioneller Orientierung, als auch Menschen mit nicht-traditioneller Orientierung sollten ihre Aggressionen überwinden, sollten sich unkomplizierter verhalten “, erklärte Putin. Wie jemand seine sexuellen Präferenzen auslebe, sei „Sache eines jeden einzelnen Menschen“, so der Präsident weiter und betonte, Homosexuelle würden in Russland nicht strafrechtlich verfolgt.

Die offizielle Politik in Bezug auf die LGBT-Gemeinschaft in Russland war bis jetzt ziemlich rigide und konsequent. Dazu gehört auch das Gesetz über das Verbot der „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen unter Minderjährigen“, das Putin im Sommer 2013 unterzeichnete. In diesem Kontext mutet der Aufruf des russischen Staatsführers, Toleranz zu zeigen, fast revolutionär an. Aber ist die russische Gesellschaft schon so weit? Von RBTH befragte Experten haben Zweifel. Homophobie sei in Russland weit verbreitet. 

Im Juni 2013 ereiferte sich der Abgeordnete Michail Sapolew von der Partei KPRF über die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen in Frankreich. Ihn empöre vor allem die Vorstellung, dass diese Paare Kinder auch adoptieren dürften. „Weshalb sagen diese Leute, die sich mit dem Eingang eine gleichgeschlechtlichen Ehe darüber klar gewesen sein müssen, dass sie selbst keine Kinder bekommen können, dass sie fremde wollen“, fragte er sich und sorgte sich um die Entwicklung der von gleichgeschlechtlichen Paaren adoptierten Kinder. Sie würden „künstlich zu einem nicht-traditionellen Sexualverhalten gezwungen“, unterstellte er. Nur einen Monat später unterzeichnete der russische Präsident ein Gesetz, das gleichgeschlechtlichen Paaren aus dem Ausland die Adoption russischer Waisenkinder verbietet. Im Februar 2014 wurde das Gesetz verschärft. Es betrifft seitdem nicht nur gleichgeschlechtliche Paare, sondern auch alle Bürger, deren Länder solche Ehen anerkennen.

Es gibt Aktivisten in Russland, die die Folgen des „Gesetzes gegen homosexuelle Propaganda“ bereits zu spüren bekommen haben. Darunter ist Elena Klimowa, die Gründerin des Projekts Deti-404 (zu Deutsch: Kinder-404), das LGBT-Kindern kostenlose psychologische und juristische Hilfe bietet. Andere Aktivisten haben sich nicht die Unterstützung, sondern den Kampf gegen Homosexualität auf die Fahnen geschrieben. Sie spüren Menschen mit einer nicht-traditionellen sexuellen Orientierung auf und outen sie, ob diese das wollen oder nicht.

Zudem gab es in der Staatsduma den Vorschlag, Homosexuelle nicht als Organspender zuzulassen. Konstantin Subbotin, Mitglied des Komitees der Staatsduma für Familie, Frauen und Kinder, erklärte jedoch gegenüber RBTH, dass keine weiteren Gesetze zum Themenkreis LGBT geplant seien.

Woher kommt die russische Homophobie?

Die meisten Menschen in Russland hätten Homosexuellen schon immer feindlich gegenübergestanden, berichtet Natalia Sorkaja, Leiterin der Abteilung sozial-politische Forschungen des unabhängigen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum. Doch die Vorurteile seien mehr im Stillen gepflegt worden. Als das Thema zunehmend Aufmerksamkeit bekam, seien auch die Ressentiments in der Bevölkerung offensichtlicher hervorgetreten. Die Anti-Homosexuellen-Gesetze bekamen eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, die laut Sorkaja mehr aus Angst und Unwissenheit, als einer Meinung zum Thema entstanden sei. „Die Welle der politischen Homophobie ist eine Reaktion auf die Aktivitäten der LGBT-Aktivisten“ und der Wunsch, sich in Anbetracht der Schärfe des Themas „ein gewisses politisches Kapital zu schaffen“, meint Nikolai Alexejew, Aktivist der LGBT-Bewegung und Gründer des Rechtsschutzprojekts gayrussia.ru. Zudem sei einem die Aufmerksamkeit der Medien sicher, daher würden sich viele Politiker auch gerne zu dem Thema äußern, meint Alexejew.

Natalia Sorkaja glaubt nicht, dass die Homophobie in Russland abnehmen wird, sondern eher noch steigt. „Als wichtigste Errungenschaft der zurückliegenden Epoche sehen die Menschen eine stabile und nachhaltige Existenz an, doch jetzt, mit der Krise im Hintergrund, wo es keine Stabilität mehr gibt, werden negative Stimmungen nur noch mehr zunehmen,“ sagt sie.

In der LGBT-Gemeinschaft hofft man dennoch auf politische Erklärungen, die für eine Zunahme der Toleranz förderlich sein könnten. „Putin zeigte sich in dieser Frage zurückhaltender, jetzt jedoch ist er zur liberalen Seite übergewechselt“, stellt Nikolai Alexejew fest. Das könne mit der Fußballweltmeisterschaft zusammenhängen, die 2018 in Russland ausgetragen wird, meint er. Der russischen Regierung sei noch der internationale Protest wegen der russischen LGBT-Politik in Erinnerung, der auch Auswirkungen auf die Olympischen Spiele in Sotschi hatte. So solle wohl nicht mehr zugelassen werde, dass das Thema zu sehr in den Vordergrund rücke, hofft Alexejew und gibt sich zuversichtlich: „Ich glaube, die Rhetorik wird sich in den nächsten Jahren ändern.

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