Behörden wollen verhindern, dass sich Russen dem Terror anschließen.
Zuma\TASSAm 8. Dezember wurde Magomed Girjejew von einem Gericht in Jekaterinburg zu drei Jahren und drei Monaten Haft in einem Straflager verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Girjejew über die sozialen Netzwerke Kämpfer für die terroristische Gruppierung Jaish al-Muhajireen wal-Ansar angeworben hatte. Diese Gruppierung gehörte zunächst zur Terrororganisation „Islamischer Staat“, hat sich aber mittlerweile der radikalislamistischen al-Nusra-Front angeschlossen.
Erst vor Kurzem beherrschte der Fall der Moskauer Studentin Warwara Karaulowa die Schlagzeilen. Die junge Frau wollte über die Türkei nach Syrien reisen, um sich dort dem IS anzuschließen. Ihrem Vater gelang es jedoch, sie aufzuspüren und zurück nach Russland zu bringen. Die junge Frau war zuvor angeworben worden – und wie dieser Fall aufzeigte, rekrutiert der IS seine Kämpfer offenbar nicht nur aus den Kreisen von Muslimen. Die Medien berichteten von mehreren Fällen, in denen junge Menschen aus intakten Familien und ohne islamischen Hintergrund bereit waren, für den IS zu kämpfen, nachdem sie über das Internet Anwerber kennengelernt hatten.
Eine Notfallnummer für besorgte Mitmenschen
Für die russische Gesellschaftskammer war dies Anlass genug, eine Notfallnummer und eine entsprechende E-Mail-Adresse einzurichten. Wie Kammermitglied Jelena Sutormina erklärt, können sich dort Menschen hinwenden, deren Verwandte oder Bekannte der Faszination des IS erlegen sind. Sutormina berichtet von bereits über 50 Anfragen seit Sommeranfang: „Wir erhalten Anrufe und E-Mails von Menschen, die vermuten, dass ihre Bekannten mit dem IS sympathisieren. Oder sie bitten uns um Hilfe, Angehörige, die bereits nach Syrien gereist sind, zurückzuholen.“
Nach dem Anruf bei der Notfallnummer werden die Angaben zunächst überprüft. Anschließend wird das russische Innenministerium und der Geheimdienst FSB informiert und um Unterstützung gebeten. Der mutmaßliche IS-Sympathisant wird zur internationalen Fahndung ausgeschrieben und, sofern noch in Russland, an der Ausreise gehindert. Nicht immer gelingt das. „Leider funktioniert die Zusammenarbeit noch nicht reibungslos und manchen potenziellen Terroristen gelingt die Ausreise dennoch“, bedauert Sutormina.
Jeder Hinweis werde ernst genommen, betont sie und erzählt von einem Hilferuf aus einem Moskauer Autosalon. Dort fiel ein Kollege durch zunehmend aggressives Verhalten auf. Zudem schimpfte er über das russische Engagement in Syrien und bekundete offen Sympathien für den IS. Die anderen Kollegen machten sich Gedanken und schrieben schließlich eine E-Mail an die Notfall-Kontaktdresse. „Wir haben die Informationen an den FSB weitergeleitet. Der Mitarbeiter des Autosalons wird jetzt überprüft“, sagt Sutormina.
Die Anwerber wüssten genau, wie sie potenzielle Kämpfer ansprechen müssten, heißt es in der Gesellschaftskammer. „Sie wissen, was den Angesprochenen fehlt. Den einen versprechen sie einen echten Glauben, den anderen Liebe. Wieder andere locken sie mit der Aussicht auf ein Recht zur Gewaltanwendung“, bestätigt der Rechtsanwalt Sergej Badamschin, der die Moskauer Studentin vertritt.
Wie Sutormina berichtet, haben einige Mitglieder der Gesellschaftskammer im Sicherheitsrat einen Antrag eingereicht mit der Forderung, dem Föderalen Dienst für die Aufsicht im Bereich der Kommunikation, Informationstechnologie und Massenkommunikation (Roskomnadsor) größere Freiheiten einzuräumen. So soll die Behörde die Berechtigung erhalten, eigenständig Internetseiten zu kontrollieren, auf denen IS-Anwerber aktiv sein könnten. Derzeit können entsprechende Seiten nur auf Anfrage der Generalstaatsanwaltschaft gesperrt werden. Aktuell werden auch härtere Anti-Terror-Gesetze in der Staatsduma diskutiert. Unter anderem werden höhere Strafen für Anwerbeversuche gefordert.
Problemfall Nordkaukasus
Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch der FSB und das Nationale Antiterroristische Komitee gehen von mindestens 4 000 Russen aus, die in den vom IS kontrollierten Gebieten aktiv sind. Die meisten davon stammen aus dem Nordkaukasus. In Dagestan, einer der ärmsten Gegenden des Nordkaukasus, wo rund 94 Prozent der Bevölkerung Muslime sind und radikales Gedankengut auf fruchtbaren Boden trifft, ist es nach Einschätzung der örtlichen Sicherheitskräfte jedoch relativ ruhig geworden.
Das habe konkrete Gründe, wie Beamte vor Ort sagen. So seien bereits vor der Olympiade in Sotschi Kriminelle massenhaft aus dem Verkehr gezogen worden. Zudem seien sehr viele junge, radikalisierte Menschen nach Syrien gereist – viele mit ihren Familien. „Der IS braucht nicht nur Kämpfer, sondern auch andere Berufsgruppen. Dort versprechen sich die jungen Leute eben mehr vom Leben“, erklärt ein Salafistenprediger, der anonym bleiben möchte, die Beweggründe der jungen Muslime. Für die Sicherheitskräfte ist das aber keine Entwarnung – sie behalten die Situation in Dagestan weiterhin im Auge.
Nach Materialien des Magazins „Wlast“.
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