Sowjetischer Alltag - mit Kinderaugen gesehen, mit Erwachsenenhänden gemalt

Piroshki. Markers and colored pencils on paper, 18x26cm. 2015.

Piroshki. Markers and colored pencils on paper, 18x26cm. 2015.

Zoya Cherkassky-Nnadi + активная ссылка на ее фб https://www.facebook.com/zoya.cherkassky
Die zeitgenössische israelische Malerin Zoya Cherkassky-Nnadi beschreibt in ihren Bildern das Leben in der Sowjetunion in den späten 1980er Jahren aus der Perspektive eines Kindes, das überall spionierende Omas und Teppiche an den Wänden sah.

Zoya Cherkassky-Nnadi zog 1991, dem Jahr des Zerfalls der UdSSR, im Alter von 15 Jahren von Kiew nach Israel. In ihrer neuen Heimat wurde sie zu einer Künstlerin mit einem sehr eigenen Stil. Obwohl ihre Gemälde eher naiv wirken mögen, sind sie inhaltlich von großer Tiefe. Sie konfrontiert den Betrachter ihrer Kunst mit bekannten Situationen aus dessen eigenem Leben. Eine Auswahl ihrer Gemälde aus der Perspektive eines Kindes kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion hat sie kürzlich ins Internet gestellt.

Der 1. Mai. / Zoya Cherkassky-NnadiDer 1. Mai. / Zoya Cherkassky-Nnadi

"1. Mai“: Der Tag der Arbeit würdigt die ökonomischen und sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse und den Kampf für deren Rechte. Es war ein sehr bedeutender Tag in der Sowjetunion. Millionen von Menschen beteiligten sich an den traditionellen Demonstrationen und trugen Banner mit typischen sowjetischen Losungen. Der 1.Mai ist bis heute ein Staatsfeiertag in Russland.

Piroschki. / Zoya Cherkassky-NnadiPiroschki. / Zoya Cherkassky-Nnadi

"Im Dienst”: In der Sowjetunion mussten alle Schüler eine identische Schuluniform tragen. Die Jungen trugen blaue Anzüge mit Aluminiumknöpfen; die Mädchen braune Röcke die nicht ganz bis zu den Knien reichten und schwarze Schürzen. Die Jungen Pioniere hatten außerdem ein rotes Halstuch. Die an einem bestimmten Tag diensthabenden Schüler waren an einem roten Armband zu erkennen und reinigten den Klassenraum nach dem Unterricht.  

Sie vergaß, ihren Rock anzuziehen. / Zoya Cherkassky-NnadiSie vergaß, ihren Rock anzuziehen. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Sie vergaß, ihren Rock anzuziehen”: In den 1980er Jahren wurden standardisierte 9-16 geschossige Wohnhäuser gebaut. Die Höfe waren ebenfalls standardisiert. Zu ihnen gehörte ein kleiner Spielplatz und am Eingang standen Bänke, auf denen ständig irgendwelche Omas, die Babuschkis, saßen. Die wussten immer, wer gerade Besuch empfing, wer neue Möbel besaß und wessen Katze gerade Wurst vom Nachbarn gemopst hatte. Wie kam es, dass die Babuschkis auf den Bänken alles wussten? Keine Ahnung, aber sie waren definitiv die größten Spione auf Erden.

Der Teppich. / Zoya Cherkassky-NnadiDer Teppich. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Der Teppich”: Russen laufen zwar nicht über ihre Wände, aber sie haben überall Teppiche zu hängen. Teppiche haben die russischen Wohnzimmer in den 1960er Jahren erobert, als Millionen von Menschen in die nach dem damaligen Sowjetführer Nikita Chruschtschow benannten „Chruschtschowki“, das waren in der Regel fünfgeschossige Wohnhäuser, umzogen. Deren Wände waren nicht nur kalt, sondern zudem dünn. Deshalb dienten die Teppiche auch als Schalldämpfer. Und sie waren ein extrem beliebter Hintergrund für Fotos.  

Fazenda. / Zoya Cherkassky-NnadiFazenda. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Fazenda”: In den späten 1960er Jahren erhielten die Sowjetbürger kleine Parzellen von etwa sechs ‘sotkas’ zugeteilt, die viele als  "Fazendas" bezeichneten (1 ‘sotka’ ist etwa 10 x 10 Meter bzw. 100 qm groß). Der Staat sorgte also nicht nur durch genügend Essen sondern auch durch Freizeitangebote für eine gewogene Stimmung in der Bevölkerung. In den postsowjetischen Republiken werden die Wochenenden in den Sommermonaten noch immer mit Betätigung und Freizeit auf der Datscha (Gartenhäuschen) assoziiert.

Ab in den Süden. / Zoya Cherkassky-NnadiAb in den Süden. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Ab in den Süden”: Reisen in den Zügen aus der Sowjetzeit, besonders den Schlafwagen der 3. Klasse, den “Platzkarty”, ist in der Tat eine interessante Erfahrung. Es sind nicht nur die Herz-Schmerz-Gespräche, die das besondere Flair ausmachen, sondern auch der mitgebrachte Proviant. Ein übliches Lunchpaket beinhaltet gekochte Eier und Hähnchenfleisch. Alle fangen an zu essen, sobald der Zug den Bahnsteig verlässt. Das hat nichts mit Hunger zu tun, es gehört einfach dazu.

Das Buffet. / Zoya Cherkassky-NnadiDas Buffet. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Das Buffet”: Essen in der Kantine, der Stalowaja, war ein fester Bestandteil des Lebens eines Sowjetbürgers, von der Kindheit bis zur Pensionierung. Eines der beliebtesten Gerichte waren “Koteletten” (Hackfleisch) mit Kartoffelbrei. Übrigens behielten die Frauen meistens ihre Kopfbedeckung auch innerhalb geschlossener Räume auf. Das hatte zwei Gründe: Zum einen um die Frisur nicht durcheinander zu bringen und zum zweiten um ihre Pelzmützen gebührend zur Schau zu stellen.  

Die Schuldisco / Zoya Cherkassky-NnadiDie Schuldisco / Zoya Cherkassky-Nnadi

"Die Schuldisco”: In Zeiten der Perestroika unter Gorbatschow drang die westliche Kultur - Mode, Rap Musik und natürlich Breakdance - in alle Lebensbereiche der Sowjetbürger vor. Besonders Breakdance wurde unter jungen Menschen sehr beliebt. Sie trugen, ähnlich wie westliche Teenager, hautenge Jeans, verrückte Frisuren und auffälligen Schmuck.

May Day. / Zoya Cherkassky-NnadiMay Day. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“May Day”: Der Alltag eines Sowjetbürgers war wie ein Puzzle, dass sich aus vielen kleinen Herausforderungen zusammensetzte. Ein festlich gedeckter Tisch gehörte zu den Basics. Angesichts der vielen Engpässe Ende der 1980er Jahre, waren die Menschen gezwungen, ungewöhnliche und kreative Gerichte mit den in den Geschäften erhältlichen Produkten zu zaubern, um ihre Gäste zu überraschen. Hering, gelierter Fisch, gefüllte Eier oder Tomaten, eingelegtes Gemüse – das alles gehörte zu einer Festtafel, ob es sich nun um eine Hochzeit, einen Geburtstag oder einen Leichenschmaus  handelte. Zu ganz besonderen Ereignissen kamen die Kristallgläser zum Einsatz, ein typisches Hochzeitsgeschenk, das so gut wie nie benutzt wurde.

Radio Liberty. / Zoya Cherkassky-NnadiRadio Liberty. / Zoya Cherkassky-Nnadi

“Radio Liberty”:  Oppositionelle, die Dissidenten, waren zwar nicht mit der Sowjetideologie einverstanden, die Macht wollten sie aber auch nicht übernehmen. Sie wollten lediglich erreichen, dass so viele wie möglich Menschen über Verstoße gegen die Menschenrechte in ihrem Land erfuhren. Zu diesem Zweck nutzen sie samizdat (illegale Kopien verbotener Literatur) und verschiedene andere Methoden um Informationen in den Westen zu schmuggeln. Sie versuchten Radiostationen abzuhören, die in der UdSSR verboten waren. Die Zeit der Dissidenten wie auch der der Sowjetunion selbst war 1991 abgelaufen.

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