Oleg Budnizkij: Ohne die Unterstützung der Alliierten wäre die UdSSR verloren gewesen

Die Alliierten leisteten der UdSSR im Zweiten Weltkrieg Schützenhilfe. Foto: Anatoli Granin/RIA Novosti

Die Alliierten leisteten der UdSSR im Zweiten Weltkrieg Schützenhilfe. Foto: Anatoli Granin/RIA Novosti

Im Zweiten Weltkrieg leisteten die Alliierten der UdSSR massiv militärische und wirtschaftliche Hilfe, so etwa im Rahmen des Lend-Lease-Programms. Historiker Oleg Budnizkij von der Moskauer Higher School of Economics kennt die Zahlen und Fakten.

Welche wirtschaftliche Bedeutung hatte die militärische Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und den USA? Welchen Stellenwert nahm das Lend-Lease-Programm in den Wirtschaftsbeziehungen beider Länder ein?

Vor allem die USA, aber auch Großbritannien, unterstützten die Sowjetunion während des Zweiten Weltkrieges massiv mit Militärtechnik. Zum Umfang gibt es unterschiedliche Schätzungen. Die sowjetische Forschung ging von vier Prozent der Gesamtkapazitäten der sowjetischen Industrie aus. Neueste Forschungsergebnisse deuten nun darauf hin, dass die Hilfen tatsächlich ein Volumen von bis zu sieben Prozent erreichten.

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den USA zur damaligen Zeit ist in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzen. Nach dem Kurs des US-Dollars von 2005 und inflationsbereinigt betrug die Gesamthilfe 130 Milliarden US-Dollar. In einigen Schlüsselbereichen waren die Lieferungen außerordentlich wichtig. Beispielsweise haben westliche Panzer in der Schlacht um Moskau die Verluste der Sowjets vollständig kompensieren können. Von den Alliierten wurden rund 15 Prozent der Flugzeuge geliefert, die die sowjetischen Luftstreitkräfte einsetzten, darunter auch das Jagdflugzeug Airacobra und der Bomber Boston. Das waren die modernsten Flugzeuge ihrer Zeit. Mit der Airacobra beispielsweise waren das berühmte sowjetische Fliegerass Alexander Pokryschkin und sein ganzes Geschwader unterwegs. Pokryschkin hat 59 feindliche Flugzeuge abgeschossen, 48 davon dank der amerikanischen Technik.

Historiker Oleg Budnizkij. Foto: Institut der Geschichte Russlands der Russischen Akademie der Wissenschaften

In welchem Umfang wurden, abgesehen von der Militärtechnik, zusätzliche Komponenten und Ausrüstung geliefert?

Einer der wichtigsten Kooperationsschwerpunkte war es, den Nachschub an Flugbenzin sicherzustellen. In der UdSSR konnte Treibstoff mit einer so hohen Oktanzahl wie es die von den Alliierten gelieferten Maschinen benötigten, nicht hergestellt werden. Zudem waren Kommunikation und Transport eine Achillesferse der Sowjetarmee: Die sowjetische Industrie konnte weder die erforderlichen Mengen herstellen, noch den Qualitätsanforderungen genügen.

Allein 1941 verlor die Sowjetarmee 58 Prozent ihres Fuhrparks. Um diese Verluste auszugleichen, lieferten die Alliierten 400 000 Fahrzeuge, vor allem Lastwagen, an die UdSSR. Während der deutschen Besatzung hatte Daimler Benz ein Montagewerk in Minsk, heute Hauptstadt von Weißrussland, eingerichtet. Nach der Befreiung der Stadt wurde dort die Montage US-amerikanischer Fahrzeuge aufgenommen, ebenfalls im Rahmen des Lend-Lease-Programms.

Sehr wichtig war nicht nur der Nachschub an fertiger Technik, sondern auch an Rohstoffen. Dabei ging es vor allem um Metalle, Chemikalien und andere Produkte, deren Herstellung in der UdSSR unmöglich geworden war. Mehr als die Hälfte sowjetischer Flugzeuge bestand aus Aluminium, das von den Alliierten geliefert wurde.

Wie hoch war der Anteil von Produkten für die unmittelbar militärische Nutzung? Gab es im zivilen Bereich eine vergleichbare Zusammenarbeit?

Entsprechend dem ersten Lend-Lease-Protokoll, insgesamt waren es drei, betrug der Anteil der Militärtechnik an den Gesamtlieferungen 20 Prozent, wobei 80 Prozent für die industrielle Fertigung bestimmt waren. Die Alliierten lieferten 1 900 Lokomotiven in die UdSSR, während im gleichen Zeitraum im Land selbst 446 Lokomotiven hergestellt wurden. Hinzu kamen 11 000 Eisenbahnwagons. In der Sowjetunion wurden nur etwas mehr als 1 000 produziert. Die Vorstellung einer funktionsfähigen Sowjetwirtschaft ohne diese Lieferungen ist unmöglich.

Mit den Kabellieferungen der Alliierten für Telefonleitungen hätte man die Erde einmal entlang des Äquators umspannen können. Unverzichtbar war die Hilfe der Alliierten auch beim Wiederaufbau befreiter Gebiete und bei der Wiederaufnahme der Landwirtschaft. Auch Fertigerzeugnisse wurden geliefert: 610 000 Tonnen Zucker beispielsweise. Die UdSSR produzierte selbst rund eine Million Tonnen.

Wie ging es nach dem Ende des Krieges weiter? Wurde die Zusammenarbeit fortgesetzt?

Der Rückgang setzte schnell ein und war deutlich zu spüren; vor allem als das Lend-Lease-Programm abgeschlossen war. Technik, die im Zuge der Kriegshandlungen zerstört wurde, wurde abgeschrieben. Was übriggeblieben war, musste zurückgegeben werden.

Gleich nach dem Ende des Krieges wurden zwischen den USA und der UdSSR Verhandlungen über Kredite für den Wiederaufbau der Volkswirtschaft geführt. Die USA boten der sowjetischen Führung ein umfangreiches Darlehen für die Laufzeit von 35 Jahren mit 2 Prozent Jahreszins an. Im Gegenzug gab es Anfragen seitens der sowjetischen Führung. So verhandelte der Chef des sowjetischen Außenministeriums Wjatscheslaw Molotow über einen Kredit in Höhe von 30 Milliarden Dollar für 30 Jahre, doch es gelang nicht, die wirtschaftlichen Beziehungen auszubauen. Die UdSSR befürchtete, in eine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen zu geraten. Die sowjetische Führung glaubte nicht, dass hinter den Hilfsangeboten der westlichen Alliierten ehrliche Motive steckten.

Josef Stalin hat wohl einmal gesagt, Winston Churchill würde die Kopeke und Franklin D. Roosevelt den Rubel zweimal umdrehen. Solche Äußerungen über Staaten, die die UdSSR in so großem Umfang unterstützt hatten, schienen unangebracht. Später lehnte es die UdSSR dann ab, sich an den neuen globalen Finanzinstitutionen zu beteiligen: am Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Außerdem schlug die sowjetische Führung den Vorschlag aus, sich dem Marshall-Plan anzuschließen. Bald darauf begann der Kalte Krieg und die wirtschaftlichen Beziehungen wurden auf ein Minimum zurückgefahren.

Oleg Budnizkij ist Direktor des Internationalen Zentrums für historische und soziologische Studien zum Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen an der Moskauer Higher School of Economics.

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