Karl Bulla (rechts) 1916 mit seiner Familie.
Karl Bulla / Wikipedia.orgStraßenaufnahmen, wie sie heute täglich massenweise Instagram und andere soziale Netzwerke fluten, waren vor hundert Jahren noch genehmigungspflichtig und ausschließlich Sache von Profi-Fotografen. Als Erster erhielt eine solche Genehmigung in Russland der deutschstämmige Karl Bulla, der damit zum ersten Reportage-Fotografen im Zarenreich wurde – und das gerade am Vorabend der Revolutionen im Jahr 1917.
In der russischen Hauptstadt fand er eine Anstellung bei der Firma Dupant, die Fotografie-Zubehör herstellte. Dort nutzte er die Chance, studierte ausländische Fotomagazine, wurde Laborant und eröffnete bald schon seine erste eigene kleine Fabrik für fertige Fotoplatten aus Glas, die bis dahin viele Fotografen noch selbst in Handarbeit herstellten. Bullas fertige Platten erleichterten ihnen den Alltag. Und mit dem Erfolg stellte er die Weichen für seine Karriere und die seiner künftigen zwei Söhne.
Nachdem Bulla 1875 sein eigenes Studio eröffnet hatte, wurde er einer der gefragtesten Fotografen der damaligen High Society, bei der er wegen seiner natürlichen Porträts beliebt war. Zeitgenossen erinnerten sich später an seine Anweisungen: „Seien Sie lebendiger, sitzen Sie nicht so verkrampft!“ Sich in den Salons der Hauptstadt fotografieren zu lassen, kam in Mode und um die Jahrhundertwende war es gerade Bulla, der die Zarenfamilie und Lew Tolstoj, aber auch die Arbeit in den Sankt Petersburger Armenhäusern, Kinderheimen und Kliniken besuchte und dokumentierte.
Karl Bulla bekam die russische Staatsbürgerschaft zugesprochen und 1886 die Erlaubnis für „aller Art fotografischer Arbeiten außerhalb des Hauses“. Zunächst war sein Interesse an Straßenaufnahmen eher verhalten, da es keinerlei kommerziellen Sinn ergab. Als dann aber zwölf Jahre später das Innenministerium die sogenannten „Vordrucke offener Briefe aus privater Herstellung“, sprich Postkarten, erlaubte, wendete sich das Blatt – und Bulla sich der Reportage zu.
Er fotografierte Straßen, Architektur, verschiedene Berufe und Verkehrsmittel. 1904 wurde er als Fotograf der Zarenfamilie anerkannt – und in seiner Karriere ging es steil bergauf: Er wurde offizieller Fotograf des Ministers des Zarenhauses, der öffentlichen Bibliothek, der Stadtverwaltung Petrograd, der Russischen Gesellschaft des Roten Kreuzes sowie offizieller Illustrator der Zeitschriften „Niwa“, „Ogonjok“ und vieler mehr.
Nikolai II. im Jahr 1913 bei seiner Ankunft zum Festakt anlässlich des 300. Jahrestages der Thronbesteigung der Romanow-Dynastie in Sankt Petersburg. / Karl Bulla/RIA Novosti
1908 eröffnete Karl Bulla einen neuen Salon direkt auf dem Newskij-Prospekt, der bis heute besteht. Hierbei halfen ihm dann schon seine zwei Söhne Alexander (geboren 1881) und Viktor (geboren 1883). Beide Söhne studierten in Deutschland und wurden berühmte russische Fotografen, Alexander besonders mit Porträt- und Studioaufnahmen. Viktor ging nach dem Studium als Fotokorrespondent in den Russisch-Japanischen Krieg. Als Bulla senior 1916 seine Arbeit aufgab und für seinen Lebensabend nach Estland aufs Land zog, führten die Söhne das Geschäft weiter.
Die Bilder der Familie Bulla sind heute russisches Kulturgut: Nicht nur die Porträts der so unterschiedlichen Herrschenden zu Zaren-, Bürgerkriegs- und dann Sowjetzeiten finden sich heute in allerlei historischen Aufzeichnungen. Besonders berühmt sind Viktor Bullas Revolutionsbilder – von den Demonstrationen und Schüssen in die streikende Menge. Zu sehen sind viele von ihnen im Bulla-Museum im einstigen Fotosalon auf dem Newskij-Prospekt 54.
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