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Seit Anfang November begibt sich die Softwareentwicklerin Xenia nicht allmorgendlich ins Büro, um feindliche Hackerangriffe abzuwehren, sondern auf die Schlittschuhbahn, um mit ihren Kollegen eine Standwaage einzuüben. „Ich habe das Casting unter den Firmenmitarbeitern erfolgreich absolviert und hoffe, dass ich bei der Silvesterfeier im Pas de deux glänzen kann, und nicht nur im Hintergrund im Schneemannkostüm mitwirken muss", sagt die Mitarbeiterin des IT-Spezialisten Kaspersky. In den vergangenen Jahren waren Xenia und ihre Kollegen bei den Silvesterfeiern bereits im imaginären Weltraum, auf einer Rock-Party und in der Phantasiewelt von Alice im Wunderland. Auch in diesem Jahr beabsichtigt Kaspersky nicht, die Betriebsfeier bescheidener anzugehen. „Schade nur, dass die ganzen Delikatessen verputzt sein werden, wenn wir unseren Auftritt beendet haben", lacht die 30-jährige Xenia.
Nationale Besonderheiten
Über ausreichende Speisen macht sich auch Silke Wobken, Verkaufsleiterin der Lufthansa in Russland, Gedanken. „In Russland muss man im Vergleich zu Deutschland pro Kopf in etwa die doppelte Menge Essen kalkulieren." In diesem Jahr müssen die Cateringunternehmen allerdings etwas mehr Einfallsreichtum an den Tag legen. Der Grund dafür sind die Einfuhrverbote für einige Lebensmittel aus der EU oder den USA. Die russischen Agrarbetriebe mögen wohl Blauschimmelkäse und Mozzarella durch einheimische Sorten ersetzen, und statt des importierten Wildbrets wird es halt russischen Hirsch oder Kaninchen geben.
Die Kosten eines Festessens werden jedoch aufgrund des Wechsels zu russischen Lebensmitteln im Durchschnitt um zwanzig Prozent steigen, berechneten Journalisten der Zeitung Wedomosti. Die Vertretungen einiger deutscher Unternehmen werden den Unterschied aber wohl kaum spüren. „Da die besten Termine am Jahresende schnell ausgebucht sind, haben wir bereits vor den Sanktionen unsere Bestellung für die Feier ausgelöst", erklärt die Veranstaltungsmanagerin von Russia Consulting, Katharina Barthel.
Nach den Worten der Seniormanagerin unterscheidet sich eine Firmenfeier für 300 Mitarbeiter zu Silvester kaum von einer Weihnachtsfeier in Deutschland, aber ein paar Besonderheiten sind in Russland trotzdem zu beobachten: „Was in Deutschland vielleicht nicht so üblich ist, ist ein Conferencier. In Russland führt ein Profi durch das Programm und erheitert die Belegschaft durch verschiedene kleine Spiele". Eine Lotterie und ein Unterhaltungsprogramm sind auch bei der Lufthansa Group ein untrennbarer Bestandteil der Silvesterfeier. „Eine weitere rein russische Besonderheit sind die Kostüme", fügt Silke Wobken hinzu. „Unsere russischen Kollegen kleiden sich von Jahr zu Jahr eleganter und raffinierter."
Silversterpartys im Hause Kaspersky haben eine lange Tradition. Foto: Pressebild
Im Dienste des Staates
Im Dezember 2013 las Präsident Wladimir Putin den russischen Staatsunternehmen für deren üppige Ausgaben zur Finanzierung der Firmenfeiern aus dem Staatssäckel die Leviten. „Die Mitarbeiter sollten Geld einsammeln und die Firmenfeier aus ihrer eigenen Tasche bezahlen, so wie das früher auch üblich war", erklärte Putin und führte als Beispiel seinen früheren Arbeitgeber, den KGB, an. „Wir haben uns auch mit den Kollegen zusammengesetzt und ein Gläschen getrunken – wir waren ja schließlich auch keine Kinder von Traurigkeit."
Putins Worte fruchteten offenbar. Rosneft, die Post Russlands und die Russischen Eisenbahnen verzichteten auf eine groß angelegte Silvesterfeier
auf Kosten des Staatshaushaltes. Der Pipelinebetreiber Transneft entzieht sich bereits seit mehreren Jahren dadurch der öffentlichen Kritik, dass er für seine Mitarbeiter keine groß angelegte Silvesterfeier spendiert, sondern ihnen Theaterkarten schenkt. In einem Interview mit der Zeitung Wedomosti bekennen Vertreter der Staatsunternehmen jedoch: Ein Verzicht auf die Silvesterfeier in diesem Jahr muss nicht unbedingt sein. Die Ausgaben für die Firmenfeier können über andere Kostenstellen verbucht werden und die Veranstaltung selbst kann als „Spartakiade" oder „Freundschaftstreffen" deklariert werden.
Einige Unternehmen sehen in diesem Zusammenhang gar kein Problem und sprechen ganz offen über ihre Ausgaben für die Feierlichkeiten. So ist sich zum Beispiel auch das staatlich kontrollierte Unternehmen Sberbank treu geblieben. Für 2014 wurde das Budget der Firmenfeier für die Mitarbeiter des Moskauer Büros der Bank sogar um fünfzig Prozent erhöht. Die Kosten für die Veranstaltung im 70er-Jahre-Disco-Stil, das Rahmenprogramm der Feier und die Bewirtung, die aus einer „Flasche Champagner und einer Schachtel Pralinen" besteht, werden für die 20.000 Mitarbeiter der Sberbank auf 550.000 Euro geschätzt.
Was die Ausgaben für die Silvesterparty betrifft, dürfte es den meisten russischen Unternehmen verständlicherweise schwerfallen, mit der größten Bank Russlands mitzuhalten. Aber wenn in Russland gefeiert wird, lautet der Grundsatz: „Wenn schon, denn schon!" Denn diese Art des „Teambuildings" ist die immensen Ausgaben wert, sind sich die Veranstaltungsmanager sicher. Und dann ist da ja auch noch das russische Sprichwort, an dem viele Menschen eisern festhalten: „Wie man das neue Jahr beginnt, so wird man es auch verbringen."
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