Mord an russischem Ex-Abgeordneten: Kiew läuft heiß

Der frühere Duma-Abgeordnete Denis Voronenkov wurde am Donnerstag erschossen.

Der frühere Duma-Abgeordnete Denis Voronenkov wurde am Donnerstag erschossen.

ZUMA Press/Global Look Press
Am Donnerstag wurde der frühere Dumaabgeordnete Denis Voronenkov in Kiew erschossen – nur wenige Monate, nachdem er aus Russland geflohen war, wo ihm ein Prozess wegen Betrugs droht. Die ukrainische Regierung gibt Moskau die Schuld an seinem Tod.

Am Donnerstag ging der ehemalige Dumaabgeordnete Denis Voronenkov am Hotel „Premier-Palais“ im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt vorbei, als jemand das Feuer eröffnete. Mindestens acht Mal wurde auf ihn geschossen – mindestens einmal traf der Täter tödlich. Nach Augenzeugenberichten schoss Vokonenkovs Leibwächter zurück und verletzte den Attentäter dabei schwer. Der ukrainischen Zeitung „Obozrevatel“ zufolge hatte die Polizei nach dem Täter gefahndet. Im Krankenhaus erlag er seinen Verletzungen. 

Exilpolitiker oder Betrüger?

Denis Voronenkov war von 2011 bis 2016 Abgeordneter im russischen Parlament. Wegen des Verdachts auf groß angelegten Betrugs wollte das Ermittlungskomitee bereits 2014 seine Immunität aufheben. Im Herbst 2016 zog Voronenkov mit seiner Frau Maria Maksakova, ebenfalls eine ehemalige Abgeordnete, in die Ukraine. Russland schrieb den Ex-Politiker zur internationalen Fahndung aus.  

Voronenkov, der die ukrainische Staatsbürgerschaft annahm, warf der russischen Regierung offen vor, die Vorwürfe gegen ihn seien politisch motiviert. Er hatte vor der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft im Prozess um den Landesverrat des ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch ausgesagt.

Im Exil kritisierte Voronenkov außerdem die Krim-Angliederung, obwohl er selbst 2014 dafür gestimmt hatte, und berichtete von Angeboten, für ukrainische Geheimdienste zu arbeiten. 

Reaktionen auf den Mord

Die Opersängerin Maria Maksakowa war früher Mitglied der Regierungspartei Einiges Russland. Als sie den Kommunisten Denis Voronenkov heiratete und später "das erste Zwischenfraktionskind" gebar, sorgte dies für Furore. Durch ihre gemeinsame Flucht in die Ukraine riskierte sie ihre Karriere in Russland. / PressebildDie Opersängerin Maria Maksakowa war früher Mitglied der Regierungspartei Einiges Russland. Als sie den Kommunisten Denis Voronenkov heiratete und später "das erste Zwischenfraktionskind" gebar, sorgte dies für Furore. Durch ihre gemeinsame Flucht in die Ukraine riskierte sie ihre Karriere in Russland. / Pressebild

Kiew machte umgehend Russland für den Mord verantwortlich. Präsident Poroschenko bezeichnete das Ereignis als „Terrorakt“, bei dem „die Spur der russischen Geheimdienste“ zu erkennen sei. Der ukrainische Generalstaatsanwalt Juri Luzenko betonte, dass Voronenkov wichtige Aussagen im Fall Janukowitsch gemacht hätte und Russland „den Zeugen demonstrativ exekutiert“ habe.

Russische Regierungsvertreter und Politiker wiesen diese Vorwürfe zurück. Kremlsprecher Dmitri Peskov nannte die Vorwürfe „absurd“ und entgegnete, dass die Ukraine die Sicherheit Voronenkovs nicht habe gewährleisten können. „Ein Mord ist immer eine Tragödie“, fügte Peskov hinzu. Er hoffe, dass die Ukraine umfassend und objektiv ermitteln werde.

Daran glaubt die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa jedoch nicht. Wie sie mitteilte, sei angesichts der voreiligen Anschuldigungen seitens des ukrainischen Präsidenten eine unparteiische oder objektive Untersuchung wenig wahrscheinlich. Gleichzeitig bekundete Sacharowa der Familie und Freunden des Ermordeten ihr Beileid.  

Am schärfsten reagierte überraschend Voronenkovs eigene Schwiegermutter, Ljudmila Maksakova: „Gott sei Dank, was sonst hätte man mit ihm tun sollen? Gott sei Dank wurde dieser scheußliche Mensch endlich getötet“, sagte sie der Zeitung „Life“.

Welche Geheimdienste sind nun schuld?

Als Maria Maksakowa am Tatort eintrifft und die Leiche ihres Mannes sieht, fällt sie in Ohnmacht. / ReutersAls Maria Maksakowa am Tatort eintrifft und die Leiche ihres Mannes sieht, fällt sie in Ohnmacht. / Reuters

Dass Moskau am Tode Voronenkovs interessiert gewesen sei, glaubt nicht nur Kiew. „Voronenkov war sehr gefährlich für die russischen Machthaber“, schrieb Ilja Ponomarjew, früherer Kollege des Ermordeten und selbst Exilpolitiker, auf Facebook. Er hätte Voronenkov an diesem Tag treffen sollen.

In Russland sieht man das freilich anders. Alexej Muchin, Leiter des Zentrums für politische Information, hält diese Behauptungen für fragwürdig – russische Geheimdienste seien nicht an Voronenkov interessiert gewesen, sagt er. „Er war Schnee von gestern. Sein Drohpotenzial hat er ja vollends ausgeschöpft: Er hat Russland kritisiert und sämtliche Aussagen gemacht und Interviews gegeben“, erklärte Muchin RBTH. Eine Ermordung des Exilpolitikers inmitten einer Millionenstadt, die sofort den Verdacht auf Russland lenken würde, wäre das Letzte, was die Geheimdienstler bräuchten, meint der Politikwissenschaftler. 

Muchin selbst vermutet die ukrainischen Geheimdienste als Drahtzieher hinter dem Mord, um diesen dem Kreml in die Schuhe schieben zu können. Diese Theorie findet Anhänger unter russischen Politikern. Jewgenij Revenko, Abgeordneter von Einiges Russland, erklärte, bei der Tat handle es sich um „eine zynische und brutale Provokation der ukrainischen Geheimdienste“.

Oder stecken kriminelle Banden dahinter?

Abgesehen von der Theorie des politischen Motivs gibt es noch eine weitere, die mit Voronenkovs Wirtschaftsinteressen zu tun hat. So erinnerte Franz Klinzevitsch, stellvertretender Leiter des Komitees für Verteidigung und Sicherheit im Föderationsrat, dass Voronenkov Kontakte zur organisierten Kriminalität pflegte. „Er wickelte lukrative Geschäfte mit schmutzigem Geld ab und das ist immer gefährlich“, wird Klinzevitsch von der Presseagentur RIA zitiert.

Diese Meinung teilt auch der Leiter des Föderalen Informationszentrums „Analyse und Sicherheit“ Ruslan Miltschenko: „Voronenkov war in kriminelle Geschäfte involviert: Geldwäsche und illegale Geschäftsübernahme. In Russland gab es einige, die eine Rechnung mit ihm offen hatten.“

Weitere Belastung der Beziehungen

Doch egal, wer wirklich hinter dem Mord an Voronenkov steht, eines ist für die Beobachter sicher: Dieses Ereignis spitzt die russisch-ukrainischen Beziehungen noch weiter zu. „Es wird ein kurzer, aber sehr intensiver Informationskampf kommen. Die Ukraine wird Russland beschuldigen und Russland die Ukraine“, meinte Muchin unmittelbar nach dem Vorfall.

„Weder Russland noch die Ukraine zeigen sich zur Deeskalation bereit“, stellte Michail Vinogradov, Vorsitzender der Stiftung Petersburger Politik, im Gespräch mit RBTH fest. Dieser Mord werde für weitere gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen den beiden Ländern genutzt werden, ist Vinogradov sicher – und ganz bestimmt nicht für eine Normalisierung der Beziehungen.

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