Käse-Ufer am Milch-Fluss: Was haben französische Ziegen im Ural verloren?

OuGMK-Agro
Nach Einführung des Lebensmittelembargos 2014 sind aus den russischen Supermärkten viele Käsesorten verschwunden, die zu weiten Teilen aus EU-Ländern kamen. Nach und nach nehmen sich nun russische Landwirte der Käserei an: beispielsweise die Agrarholding UGMK-Agro im Ural. Sie kauften eine Herde französischer Ziegen, um nun Quarkprodukte aus deren Milch zu verkaufen. Zum Käseangebot gehören mittlerweile auch russischer Camembert und Brie.

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Im November 2016 wurden die jungen französischen "Aristokraten" auf eine Reise geschickt, von der viele sonst nur träumen können. Die siebenjährigen Ziegen aus der Kleinstadt La Boissière-des-Landes an der Westküste Frankreichs überwanden 5000 Kilometer, fünf Staatsgrenzen und landeten schließlich weit im Osten auf einem russischen Bauernhof. Hier, unweit der Ural-Metropole Jekaterinburg, ist nun ihr neues Zuhause.

Der November ist im Ural traditionell sehr kalt und schneereich. Aber der Klimawechsel hat den kleinen Ziegen nichts ausgemacht. Die Firma UGMK-Agro hat extra einen ihrer Höfe umgebaut und für die Zugeszogenen neue Ställe mit Wärme-Ventilatoren eingerichtet. Diese halten die Innentemperatur konstant bei angenehmen 11 bis 14°C. Und schon ein halbes Jahr später gab es den ersten Nachwuchs - und mit ihm auch die erste französische Ziegenmilch im Ural. Aus ihr machen die Bauern vor Ort nun russische Analogs französischer Weichkäsesorten wie Bûche de Chèvre, Camambert und viele andere.
Ziegen-Chef Ilja Bondarjew / UGMK-AgroZiegen-Chef Ilja Bondarjew / UGMK-Agro

Geschäft unter Sanktionen

Die Wahl fiel aus zwei Gründen auf qualitativ hochwertigen französischen Schimmelkäse, wie Ilja Bondarjew, Generaldirektor der UGMK-Agro, erläutert. Erstens gebe es mittlerweile in Russland schon genügend Produzenten von Hartkäsesorten. Außerdem seien die Frischkäsearten wegen ihrer kurzen Haltbarkeitszeiten auch vor Einführung der Sanktionen nie wirklich bis in den Ural gelangt, darum würde selbst eine mögliche Aufhebung der Beschränkungen in der Zukunft das Unternehmen nicht durch eine wiederkehrende Konkurrenz durch europäische Firmen gefährden.
 
Auch die Wahl der Ziegen war natürlich nicht zufällig: "In Russland befindet sich diese Branche noch im Entwicklungsstadium. Erst kürzlich hat man erkannt, dass sie dringend staatliche Unterstützung benötigt", so Bondarjew. "Außerdem ist Ziegenmilch hyperallergen und auch für diejenigen verträglich, die auf Kuhmilch allergisch reagieren. Wir haben diese Nische entdeckt und sind direkt hineingeschlüpft."
 
Bevor Bondarjews Firma sich für einen Geschäftspartner entschied, studierten sie die Struktur der Herden und die Kultur der Ziegenhaltung in Europa. "Wir haben gesehen, dass, obwohl es in Frankreich gar nicht so viele Ziegen gibt, der prozentuale Anteil der Ziegenmilch an der Milch, die zur Weiterverarbeitung geschickt wird, sehr hoch ist", sagt der Firmenchef.
 
Letzlich entschieden sich die Russen für einen Kaufvertrag über 1000 Milchziegen für rund eine Million Euro mit der französischen Firma KBS-genetic - und dass noch lange vor der Geburt der später in das Swerdlowsker Gebiet geschickten Tiere, weil die Nachfrage nach eben dieser Art groß ist. Die Ziegen sind nicht sehr anspruchsvoll, was das verabreichte Futter angeht, und sie geben proteinreiche Milch mit hohem Fettanteil, die sich besonders zur Käseherstellung eignet.

Im Milchkarussel

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"Riechen Sie das?", fragt Anatolij Korotkow, der Leiter des Produktionsprozesses, beim Rundgang durch die Anlagen der UGMK-Agro. "Es riecht nach Äpfeln!" Das duftende Ziegenfutter und die Streu stellt das Unternehmen selbst direkt auf dem Hof her. Gemeinsam mit französischen Zuchtexperten sind außerdem eine Reihe von Zugaben zum üblichen Futter ausgearbeitet worden. Beispielsweise im sogenannten Melkkarussel bekommen die Ziegen zusätzliches Futter. Gleichzeitig können in dieser Anlage bis zu 60 Ziegen gemolken werdem. Automatisch erkennt das Gerät den Melkstand und gibt das kombinierte Futter aus. 
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Korotkow war früher auf große Hornträger spezialisiert: "In der Sowjetunion hatte die Ziege keinerlei Produktionswert: Im Vergleich zur Kuh, die täglich 25 bis 30 Liter Milch gibt, gab die Ziege eben nur zwei bis drei Liter jeden Tag. Darum hielten eigentlich nur Private Ziegen."
 
Zunächst reisten die russischen Landwirte nach Frankreich, um Erfahrungen in der Ziegenzucht zu sammeln. Mittlerweile laden sie Experten zu sich in den Ural ein: ob zu technischen Fragen der Käseherstellung oder auch zur Haltung der Tiere. Auch André Verdier besucht die Ural-Ziegen regelmäßig: Er gehört zum Verband der arbeitenden Pensionäre und kommt als Freiwilliger. 50 Jahre seines Lebens widmete er schon der Tierzucht, davon 40 Jahre den Ziegen. Die UGMK-Mitarbeiter bilden sich außerdem regelmäßig in der französischen Nationalen Schule für Industrie- und Biotechnologie (ENIL) weiter.
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Künftig will das Unternehmen von den französischen und US-amerikanischen Kollegen auch die Technik der künstlichen Befruchtung der Tiere übernehmen, eine eigene Käserei-Schule eröffnen und die Ziegen gemeinsam mit der Technologie zur Herstelllung des Endproduktes verkaufen. Nach unternehmenseigenen Berechnungen sollen nach der Realisierung des zweiten Projektes mit über 10 000 Ziegen bis zu 7000 Tiere jährlich verkauft werden können. 

Komischer Käse?

 / Pressebild UGMK-Agro / Pressebild UGMK-Agro

25 Zuchtböcke, die mit der "französischen Delegation" in den Ural kamen, bewohnen dort nun eigens für sie eingerichtete Räume abseits der Herde. Jeder von ihnen kann bis zu 25 Ziegen decken. In einem weiteren Extra-"Saal" sind die Zicklein untergebracht: Unter dem Infrarotlicht können sich die Kleinen wärmen und gedeihen. Sie werden mit der Flasche aufgezogen - zunächst mit der Erstmilch der Mutter, dann mit einer besonderen Mischung aus Milchpulver.
 
"Wenn unser Bauernhof dann vollständig ausgestattet sein wird, sodass wir bis zu 1800 Melkziegen komplett selbst versorgen können, dann werden wir bis zu sehcs Tonnen Milch täglich erhalten. Das entspricht 600 bis 700 Kilogramm Käse, abhängig von der Sorte. Das ist ein riesiger Umfang, aber Massenware werden wir trotzdem nicht produzieren", sagt Bondarjew über die Zukunftspläne der Firma.
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Eine eigene Werkstatt für die Schimmelkäse-Herstellung wird noch im September eröffnet. Der Preis des Endproduktes soll dann, ebenfalls abhängig von der jeweiligen Sorte, zwischen 1500 und 2000 Rubel (etwa zwischen 20 und 30 Euro) je Kilo liegen. Bislang wird in der 12 Kilometer entfernmt liegenden Milchfabrik in Wechnjaja Pyschma Chevrette produziert, der gemeinsam mit der Ziegenmilch dann unter der Marke "Coeur du nord" in den lokalen "Aschan"- und anderen Supermärkten verkauft wird. 
 
"Wir wissen, dass Schwierigkeiten beim Absatz der Produktion in unserer Region geben kann. Darum verhandeln wir bereits mit Vertriebsstellen der Märkte in Moskau und Sankt Petersburg", so Bondarjew. "Es ist durchaus wahrscheinlich, dass dann mehr als die Hälfte unserer Erzeugnisse dorthin geleifert werden, weil der Konsument dort besser weiß, was er für ein Produkt erwirbt. Die Kunden im Ural müssen es noch kennenlernen."
 
 

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