Wie eine „Suppe“ aus Mineralien das Leben von U-Booten verlängert

Anton Belitskiy
Diese Erfindung eines Russen verlängert das Leben teurer Industrieanlagen um ein Vielfaches. Zum jetzigen Zeitpunkt ist sein größter Auftraggeber aus dem Ausland die deutsche SMS Group.

Stanislaw Kislow ist ein kleiner Mann mit kräftiger Statur, der es vermag, wie ein Junge zu lachen und andere damit anzustecken. Im Jahr 2005 gründete er die Firma Geoenergetika, die bereits einige Jahre später eine Auszeichnung als bestes innovatives Unternehmen in Russland erhielt. Kislows Firma bietet Kunden eine von seinem Vater entwickelte, einzigartige Technologie für die Beschichtung von Metalloberflächen, deren Anwendung die Lebensdauer der Einzelteile um ein Vielfaches erhöht.

Das ganze Leben von Kislow Senior drehte sich um die Kaluger Turbinenfabrik, kurz KTS, dem führenden Unternehmen bei der Turbinenherstellung für Wasserkraftwerke und atomare U-Boote. Nach dem Zerfall der UdSSR und dem Übergang zur Marktwirtschaft bekam das Unternehmen keine Aufträge mehr. Die Zahl der Aufträge zur Produktion neuer Turbinen sank im Vergleich zum Jahr 1989 um 20 bis 25 Prozent. Obwohl die Mitarbeiter der Fabrik ein halbes Jahr kein Gehalt bekamen, kündigte jedoch niemand. Stattdessen arbeiteten die Menschen umsonst und glaubten daran, dass die Turbinen der Firma eines Tages im Land wieder gebraucht würden.

Denn auch wenn Russen ohne Gehalt arbeiten können, halten sie es ohne eine echte Aufgabe nicht aus. Deshalb gewöhnten es sich die Ingenieure der 1990er-Jahre an, sich selbst zu mit neuen Aufgaben beschäftigen. Genau in dieser Zeit entwickelte Kislow Senior seine einzigartige Technologie.

Eine Technologie, die im Traum erschien

Die Idee für eine Mineralbeschichtung von Metallen wurde vom bekannten russischen Geophysiker Wladimir Wernadskij übernommen. Wernadskij hatte angenommen, dass die Eigenschaften von Mineralien auch an Metalle weitergegeben werden könnten. In der Theorie sah alles einfach aus: Man nehme einen Stein, pulverisiere ihn und trage die Masse dann auf eine Metalloberfläche auf.

„Man sagt, dass Mendelejew sein Periodensystem im Traum erschien“, sagt Stanislaw Kislow. „Mein Vater war der geborene Technologe. Im Schlaf träumte er von Technologie. Und so kam es, dass er eines Tages auf die Idee kam, wie das Mineralienpulver auf das Metall aufgetragen werden könnte.“

Die Methode von Kislow Senior unterschied sich grundlegend von allen, die zuvor bekannt waren. Die Technologie setzte eine Diffusion voraus, also das Eindringen der Mineralienmasse in die Metallstruktur. Das Ergebnis war, dass sich das Metall Eigenschaften aneignete, die einer Revolution in der weltweiten Metallbearbeitung gleichkamen: Die Korrosions- und Reibebeständigkeit sowie die Widerstandfähigkeit gegenüber jeder physischen Einwirkung erhöhten sich um das Vielfache. 

Kislow Senior konnte jedoch seine einzigartige Technologie nicht anwenden. Seine Firma schaffte es gerade so zu überleben. Erst zu Beginn der 2000er-Jahre begann sich die Lage der russischen Wirtschaft zu verbessern und man konnte wieder darauf hoffen, dass die neue Technologie gebraucht wird. Als er im Jahr 2004 in Rente ging, bot er seinem Sohn an, den Familienbetrieb weiterzuführen.

Kislow Junior schloss ein Doppelstudium ab – in Ingenieurwesen und Ökonomie. Wo der Vater dazu im Stande war, eine einzigartige Technologie zu entwickeln, wusste der Sohn, wie man sie verkauft. In Jahr 2005 gründete er ein eigenes Unternehmen.

Die Besonderheiten des russischen Marketings

Das Produktionsgebäude der Firma liegt fast genau im Zentrum von Kaluga, einer alten russischen Stadt, auf einem Hügel. Direkt neben dem kleinen zweistöckigen Haus befindet sich ein Garten mit Apfelbäumen und eine russische Sauna in einem Holzhäuschen.

„Wenn man mit dem Kunden in die russische Sauna geht, lassen sich die Verhandlungen viel leichter führen“, formuliert Kislow die russischen Marketingstrategien aus, die sich schon immer durch ihren menschlichen Zugang zum Kunden auszeichneten.

Zwei Fabrikhallen und circa 30 Mitarbeiter reichen dem Unternehmen aus. An den Wänden der Hallen stehen Holzkisten, in denen sich jene Metallkonstruktionen befinden, die Kislow so beständig wie Granit machen muss.

Ein Rubel, der für die Mineralbeschichtung Kislows ausgegeben wird, bringt dem Auftraggeber fünf Rubel Gewinn. Ein derartiger ökonomischer Nutzwert erschien vielen unwirklich. Die Technologie war verdächtig einfach in ihrem Gebrauch. Sie veränderte die Geometrie der Einzelteile nicht, brauchte keine platzraubenden Betriebsanlagen und auch keine logistischen Berechnungen – die Fachmänner von Geoenergetika konnten all das vor Ort erledigen. Darüber hinaus passte sich die Technologie an die konkreten Herstellungsbedürfnisse an und konnte nahezu alle Bedingungen des Auftraggebers erfüllen.

„Ich vergleiche unser Unternehmen gerne mit einem Koch, der in die Suppe mehr Salz oder mehr Pfeffer geben kann“, sagt Sergej Kislow. „Indem wir die Eigenschaften der Mineralien variieren, können wir verschiedene technische Parameter erfüllen. Alles hängt von dem ab, was der Kunde braucht.“

Bald gibt es eine mobile Anlage

Die Expertise der angesehenen Berliner Bundesanstalt für Materialforschung und –prüfung (BAM) half, Anerkennung auf dem Markt zu finden. „Das ist das Ergebnis, das unsere Technologie liefert“, sagt Kislow und zeigt mir die Grafiken deutscher Experten. 

Für Russland hat Kislows Technologie eine strategische Bedeutung. Der erste Auftraggeber war die KTS selbst. Danach folgten Aufträge von Schiffsbauern und aus der Atomwirtschaft. Heute arbeitet die Firma mit Unternehmen aus zwölf Industriezweigen zusammen, die der so genannten Gruppe A, das heißt der Grundproduktion angehören. Unter den Auftraggebern der Geoenergetika befinden sich drei führende russische Metallfabriken sowie einige große Thermal- und Wasserkraftwerke. Der größte Auftraggeber aus dem Ausland ist die SMS Group – ein deutscher Konzern, der auf dem Gebiet der Metallanlagen weltweit marktführend ist. In Zukunft erwartet die Firma eine unvermeidliche Expansion, Kislow Junior hat große Pläne.

„Wir bekommen Aufträge aus der ganzen Welt und unser Geschäftsmodell wird sich bald ändern“, sagt Stanislaw. „Bisher beschichten wir selbst. Das ist nur logisch und ökonomisch im Umkreis von 1 000 Kilometern vertretbar. Aber wie sollen wir die Beschichtung in Brasilien oder Indien selbst durchführen?“

In letzter Zeit bitten immer mehr Kunden Kislow, eine mobile Version der Geräte zu entwickeln und eine Herstellungslizenz zu verkaufen. Kislow ist sich sicher, dass seine Kunden in einem Jahr das erste mobile Modul zur Mineralbeschichtung geliefert bekommen.

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